Die taz hatte Ende Juni eine ganz große Sache ausgegraben. Anders als nach den Daten der Bundesagentur für Arbeit habe Deutschland nicht die siebtniedrigste, sondern die achthöchste Arbeitslosenquote unter den 27 Euro-Staaten. Das Problem ist nur: An diesem Artikel ist so ziemlich alles falsch oder sehr kreativ gerechnet.

In der Presseinformation der Bundesagentur für Arbeit findet sich das von der taz zitierte Ranking nicht. Wer hat es dann aufgestellt? Leider war die taz nicht bereit, auf meine Fragen zu antworten. Das Statistische Bundesamt vielleicht, das vor kurzem eigene Erwerbslosenzahlen veröffentlichte (dazu und zu den Arbeitslosenzahlen der Bundesagentur für Arbeit siehe auch die beiden Erläuterungen im Statistiker-Blog)? Sollten deren Forscher tatsächlich so dusselig sein, die nach völlig unterschiedlichen Kriterien erhobenen nationalen Arbeitslosenzahlen der EU miteinander zu vergleichen?  Zudem hat sich fast jede deutsche Regierung neue Ausnahmen einfallen lassen, warum Menschen ohne Arbeit nicht als arbeitslos gezählt werden. Die Wiesebadener hätten das sogar ganz leicht nachlesen können. Die Bundesagentur für Arbeit vermeldet in ihrem Standardzahlenwerk (Aktuelle Daten – Arbeitsmarkt in Deutschland) jeden Monat, wie viele Menschen aufgrund dieser Sonderregelungen nicht als arbeitslos gelten. Warum weiß das Statistische Bundesamt das nicht?

Wer statt in die taz auf die Seite des Statistischen Bundesamtes wirft, findet zumindest einen Teil der Antwort. In Wahrheit wurde von der Wiesbadener Behörde die harmonisierte Erwerbslosenquote nach ILO-Kriterien mit den Nachbarländern verglichen. Auch die OECD und Eurostat tun das. Die Behauptungen der taz sind also schlicht falsch. In deren Artikel geht alles wild durcheinander. Zu den 3,2 Millionen Arbeitslosen, welche die Bundesagentur für Arbeit vermeldet, kämen noch 1,2 Millionen, „die sich durch Fortbildungen hangeln oder keine Kinderbetreuung finden.“

Nein, zu den 3,2 Millionen Erwerbslosen nach ILO-Kriterien kommen noch 1,2 Millionen, die diese strengen Kriterien nicht erfüllen. Zu dieser können tatsächlich auch Menschen gehören, die aktuell eine Fortbildung besuchen und diese nicht abbrechen wollen. Denn Teilnehmer an Weiterbildungen fallen keineswegs pauschal aus der Statistik. Wer parallel weiter sucht und auch bereit ist, den Kurs abzubrechen zählt nach den ILO-Kriterien weiter als erwerbslos.

Sonderbar auch, dass die taz Deutschland behauptet, zähle man die Unterbeschäftigung mit, verschlechtere Deutschland sich von einem Platz sieben (Platz 1 wäre die niedrigste Arbeitslosenquote) auf Platz 20. Denn aus der in der Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes mitgelieferten Übersicht geht hervor, dass Deutschland im Jahr 2009 die zwölftniedrigste Erwerbslosenquote hatte. Wie die taz auf einen Platz sieben kommt, bleibt ihr Geheimnis. Erst im Juni 2010 hatte Deutschland dann die sechstniedrigste Erwerbslosenquote.

Wenig überraschend und keineswegs eine Enthüllung ist, dass Deutschland schlechter dasteht, wenn man die Unterbeschäftigten betrachtet. Niemand behautet, dass Deutschland so verhältnismäßig durch die Krise kam, weil keine Arbeitsstunden gekürzt werden. Vielmehr gilt es als das deutsche Erfolgsrezept, dass statt Leute zu entlassen Überstunden abgebaut und Menschen in Kurzarbeit geschickt wurden. Durch diese Politik sind in Deutschland sogar besonders viele Menschen unterbeschäftigt. Wird statt einen Angestellten zu entlassen die Arbeitszeit von dreien auf zwei Drittel reduziert, hat man unter Umständen drei Unterbeschäftigte statt einen Erwerbslosen. Das kann man ausgleichen, indem man Vollzeitäquivalente bildet. Dabei werden drei Menschen, die gerne Vollzeit arbeiten würden und nur zwei Drittel arbeiten mit einer Person gleichgesetzt, die gar nicht arbeitet und Vollzeit arbeiten möchte. Das ist natürlich nicht ganz unknifflig, da man korrekterweise auch die Erwerbslosen in Vollzeitäquivalente umrechnen müsste, denn einige suchen nur eine Teilzeitarbeit. Leider ist das nicht passiert. Die Rechnung der taz setzt Teilzeitbeschäftigte, die gerne voll arbeiten würden, Vollzeitarbeiter, die gerne wieder Überstunden machen würden und Kurzarbeiter mit Arbeitslosen gleich. Hier allerdings folgt sie dem Statistischen Bundesamt und übernimmt dessen Berechnung.

Wundern darf man sich auch über die Schlussfolgerung der taz. Von einer verbrämten Statistik ist da die Rede. Nun gibt es in der Tat eine Reihe von fragwürdigen Sonderregelungen, warum Menschen ohne Arbeit nicht als arbeitslos zählen. Die taz geht aber noch weiter und empfindet es als Beschönigung, dass die Arbeitslosenstatistik nur Arbeitslose zählt. Ja, das ist tatsächlich der Vorwurf. Nun würde man der taz zustimmen, dass sich neben dem Blick auf die Erwerbslosenzahlen auch eine Betrachtung der Menschen lohnt, die gerne mehr arbeiten würden. Vor allem jener Gruppe, die aufgrund der geringen Arbeitszeit von ihrem Gehalt nicht leben kann. Aber tatsächlich den Vorwurf zu erheben, dass eine Arbeitslosenstatistik nur Arbeitslose enthält, zeugt von einem kreativen Umgang mit der Statistik.

Eine Erläuterung der taz war leider auch nach zweimaliger Nachfrage nicht zu bekommen. Also lieber statistiker-blog lesen!

Anmerkung: Im Gegensatz zur taz hat das Statistische Bundesamt sich gemeldet. Dort sieht man ebenfalls die Problematik der fehlenden Vollzeitäquivalente, dazu fehlen aber bisher internationalen Standards. Man verweist darauf, dass ja auch Erwerbslose nicht gleich Erwerbslose sind, weil beispielsweise ein Teil nur einen Mini-Job sucht. Daher sieht man zwar die Problematik einer Gleichsetzung von Erwerbslosen und Unterbeschäftigten, hält aber die Betrachtung für dennoch vertretbar.

One thought on “Mehr ein Zeitungs-Albatros als eine Zeitungs-Ente”

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