Den zweiten Tag der Statistischen Woche habe ich mir vor allem Vorträge zum Thema Armutsmessung angehört. Das war nicht immer einfach, denn alle Vorträge waren auf Englisch und die Vortragenden alle aus nicht englisch sprechenden Ländern. Beispielsweise aus Mexiko. Eine sehr interessante Diskussion drehte sich um absolute und relative Armut. Armut wird ja im Regelfall relativ definiert. Armutsgefährdet ist nach den aktuell meistens verwendeten Kategorien der oder die, die weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung hat. Das Problem dabei ist: Wird die gesamte Gesellschaft im gleichen Maße reicher, reduziert sich die Armut kein bisschen. Die Klage „Die Gesellschaft wird immer reicher, aber die Armen werden nicht weniger“ ist also Blödsinn, wenn man von relativer Armut spricht. Die hat mit dem Wohlstandsniveau nichts zu tun, sondern nur mit der Einkommensverteilung.

Das zeigt das Beispiel Irland. Dort stieg die Armutsquote (gemessen nach den obigen Kriterien) von 1996 bis 2000 von 19,1 auf 21,4 Prozent. Gleichzeitig erhoben die Iren aber auch eine absolute Armutsquote, die ermittelte, wie viel Prozent der Menschen sich bestimmte Güter wie Nahrungsmittel, einen Farbfernseher oder ähnliches nicht leisten können. Deren Anteil sank im gleichen Zeitraum von 20,1 auf 10,6 Prozent. Die deutsche Armutsquote sank damals übrigens auch relativ von 12,1 auf 11,1 Prozent. Der Anstieg der sozialen Ungleichheit begann erst mit dem neuen Jahrtausend. Das zeigt auch die unten stehende Tabelle, die Haushalte mit einem Nettoäquivalenzeinkommen von weniger als 70 Prozent des Medians, von 70 bis 150 Prozent des Medians und die darüber unterscheidet. Die Daten sind aus dem SOEP und wurden mir dankenswerter Weise vom DIW für einen Zeitungsbeitrag zur Verfügung gestellt.

Niedrige Einkommen Mittlere Einkommen Hohe Einkommen
1993 21 62 17
1994 20 63 17
1995 18 65 17
1996 18 66 16
1997 18 66 16
1998 18 65 17
1999 18 65 17
2000 18 67 16
2001 19 65 16
2002 19 64 16
2003 19 64 17
2004 19 63 18
2005 20 62 18
2006 21 61 18
2007 21 60 19
2008 20 61 19
2009 22 62 17

Aber zurück zu Irland. Die scheinbar widersprüchliche Entwicklung rührt daher, dass die gesamte Gesellschaft reicher wurde, aber die Reichen eben ein bisschen mehr.

Der Vortragende Vijay Verma zumindest hatte wenig für absolute Armutsdefinitionen übrig. „There ist no such thing as an absolute poverty line“ war sein Kredo. Denn Menschen definieren sich zu ihrer Umwelt. Einen Sozialhilfeempfänger von heute tröstet es wenig, dass er mehr Wohlstand genießt als eine Durchschnittsverdiener in den 1950er Jahren. Deshalb war die zweite Botschaft auch „There ist no such thing as an absolute relativ poverty line“. Soll heißen, Armut kann man nicht EU-weit an der gleichen Grenze festmachen. Zum einen weil die Lebenshaltungskosten unterschiedlich sind, zum anderen aber auch weil jeder Mensch sich eben mit seiner Umwelt vergleicht.

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