Ende der „hessischen Verhältnisse“ durch AfD-Verbot?

Nichts geht mehr in der deutschen Politik. Nicht in Sachsen, nicht in Thüringen und nicht in Brandenburg. Überall „hessische Verhältnisse“. Soll heißen, traditionelle Bündnisse wie schwarz-gelb oder rot-grün funktionieren dort nicht mehr. Ja, oft nicht mal mehr die früher „große Koalition“ genannte Verbindung von SPD und CDU. Wobei der Name angesichts der schwachen Ergebnisse der „Sozis“ in Sachsen und Thüringen nicht mehr passt.

Auch im Bund war die Ampel eher eine Notlösung, weil es für schwarz-gelb und rot-grün nicht gereicht hat. Angesichts der Diskussionen um ein AfD-Verbot stellt sich die Frage, ob das Regieren dann einfach wäre. Ich möchte wohlgemerkt nicht das Für und Wider eines Verbots diskutieren, sondern mir die Veränderung der Mehrheitsverhältnisse in den Parlamenten aus rein statistischer Perspektive ansehen.

Dabei gehe ich davon aus, dass bei einem Parteiverbot für die AfD ins Parlament gewählte Abgeordnete ihr Amt verlieren würden. Die Sitze werden in meiner Simulation nicht nachbesetzt.

Exkurs: Warum „hessische Verhältnisse“?

Der Begriff „hessische Verhältnisse“ stammt aus den frühen 1980er Jahren. Damals kam eine junge Partei ins Parlament, deren Verfassungstreue, sagen wir mal, umstritten war. Delegitimierung des Staats gehörte zu ihrem Kernprogramm, Gewalttäter besetzten hohe Posten. Helmut Schmidt sah in der Partei deshalb eine Gefahr für die Demokratie, ja gar „für die Stabilität unseres Staates„. Auch Ministerpräsident Holger Börner distanzierte sich, allerdings hielt die Brandmauer nicht lange. Die SPD ließ sich zunächst von der neuen Partei tolerieren und ging 1985 sogar eine Koalition ein. Natürlich geht es bei dieser Partei um die Grünen.

Bundestag ohne AfD

77 Abgeordnete hat die Fraktion der AfD im Bundestag aktuell. Hinzu kommen sechs fraktionslose Abgeordnete, die die Fraktion verlassen haben oder hinausgeschmissen wurden. Da ist beispielsweise MdB Robert Farle. Der war zunächst 24 Jahre lang Mitglied der DKP, der Deutschen Kommunistischen Partei. Laut T-Online soll er dabei Geld von der SED erhalten haben. Seit 2015 gehörte er der AfD an, trat aber aus Protest gegen die Position zum Ukraine-Krieg wieder aus. Wohlgemerkt nicht, weil die AfD sich nicht ausreichend von Putin distanzierte, sondern weil sie sich nicht auf dessen Seite stellte, sondern das arme Hascherl für den Krieg verantwortlich gemacht habe.

Die 77 AfD-Abgeordneten plus die sechs Renegaten gibt 83 Abgeordnete, die wir hier zu statistischen Zwecken mal aus dem Parlament schmeißen. Wie würden sich damit die Mehrheitsverhältnisse ändern? Werfen wir einen Blick auf die Sitzverteilung ohne AfD-Fraktion und ohne jene Abgeordnete, die zwar fraktionslos, aber über die AfD ins Parlament gelangt sind.

FraktionSitzeAnteil in Prozent
CDU/CSU19630,2
SPD20731,8
FDP9114,0
Bündnis90/Die Grünen11718,0
Die Linke284,3
Bündnis Sahra Wagenknecht101,5
Fraktionslos (SSW)10,2
Gesamt650100

Wir sehen, dass SPD und Grüne zusammen 324 Sitze hätten. Bei 650 Sitzen ist das einer weniger als die Hälfte. Allerdings gibt es mit Stefan Seidler noch einen Abgeordneten des Südschleswigschen Wählerverbands im Parlament. Der gehört zwar keiner Fraktion an, stimmt aber überwiegend mit SPD und Grünen. Trotzdem würde noch ein Sitz für eine rot-grüne Koalition fehlen. Vielleicht könnte ein Abgeordneter der FDP oder der Linkspartei zum Parteiwechsel bewegt werden. Oder es müsste auch die Partei Die Linke noch verboten werden, dann hätte das Parlament nur noch 622 Sitze, womit 312 für die absolute Mehrheit reichen.

CDU und SPD hätten zusammen eine bequeme Mehrheit, die haben sie aber auch jetzt schon, wollten aber nicht miteinander.

Die Situation in Sachsen

Ganz anders ist die Situation in Sachsen. Hier muss niemand zum Parteiwechsel bewegt werden, es ist noch nicht mal eine Koalition nötig. Ohne AfD im Parlament hätte die CDU die absolute Mehrheit.

SitzeProzent
CDU4151,3%
Bündnis Sahra Wagenknecht1518,8%
SPD1012,5%
Bündnis90/Die Grünen78,8%
Die Linke67,5%
Freie Wähler11,3%
Gesamt80100,0%

Aktuell hat die CDU 41 von 120 Sitzen. Ohne die 40 AfD-Abgeordneten gäb es aber nur noch 80 Parlamentarier – und damit hätte die CDU haargenau die Mehrheit. Wenn sie etwas mehr Puffer haben will, kann sie ja noch den einzelnen Abgeordneten der Freien Wähler mit dazunehmen.

So würde sich die Lage in Thüringen ändern

Schwieriger wäre die Situation in Thüringen. Zwar würden mit einem AfD-Verbot gleich 32 Sitze frei werden, allerdings ist die CDU als zweitstärkste Partei nicht besonders gut aufgestellt. Außerdem müsste sie, wie in Sachsen, auf Unterstützung durch die FDP verzichten, die ist nämlich nicht im Parlament.

SitzeProzent
CDU2341,1%
SPD610,7%
Die Linke1221,4%
Bündnis Sahra Wagenknecht1526,8%
Gesamt56100,0%

Bei 56 Abgeordneten brächte eine Regierung mindestens 29 Sitze. Die CDU hat alleine nur 26, allerdings könnte sie mit der kleinsten Partei im Parlament koalieren, der SPD. Mit ihren Sitzen wäre eine Mehrheit drin. Wie in Sachsen, aber nur mit genau einem Sitz.

Und jetzt noch Brandenburg

In Brandenburg ist die Situation insofern ganz anders, als die kleinste Fraktion in Thüringen hier die stärkste ist, nämlich die SPD. Aktuell hat das Parlament 88 Sitze, davon entfallen 30 auf die AfD. Blieben also 58, für die Mehrheit wären also 30 Sitze nötig. Die SPD hat sogar 32, das wäre im Vergleich zu Sachsen und Thüringen eine richtig komfortable Mehrheit.

Die übrigen 26 Sitze entfallen auf das BSW (14) und die CDU (12). Angesichts der Übersichtlichkeit mit nur drei Fraktionen (ohne AfD) spare ich mir hier die Tabelle.

Fazit

Im Bund bliebe es auch ohne AfD bei der aktuellen Lage, solange nicht ein Abgeordneter die Seiten wechseln würde oder SPD und Grüne sich von der Linkspartei tolerieren lassen würden. In den drei ostdeutschen Ländern, in denen 2024 gewählt wurde, würden die Machtverhältnisse dagegen eindeutiger werden. In Brandenburg gäb es dann einen SPD-Ministerpräsidenten mit Alleinregierung, in Thüringen und Sachsen wohl einen CDU-Ministerpräsidenten, in Sachsen sogar ebenfalls mit Alleinregierung.

Ob ich für ein AfD-Verbot bin? Dazu habe ich eine Meinung, werde sie aber hier nicht schreiben. Ich bin kein Politik-Blog und möchte auch keiner werden.

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