Zur Zeit bin ich sehr, sehr nett zu meinen Lesern. Nachdem ich im vergangenen Beitrag die Frage eines motorradfahrenden Statistikers beantwortet habe, gehe ich diesmal auf eine Anmerkung einer Leserin zum Thema Armut ein. Die hatte einen Beitrag mit den Worten kommentiert, es sei schlimm, dass es in einem reichen Land wie Deutschland Armut gebe. Nun wird Armut aber relativ definiert, in einem reichen Land liegt die Armutsgrenze entsprechend höher.

Im ersten Beitrag will ich die Problematik der relativen Armutsmessung an einem Beispiel verdeutlichen, nämlich der Entwicklung der Armut nach Ausbruch der Finanzkrise. Im zweiten möchte ich dann fragen, ob es vielleicht trotzdem einen Zusammenhang zwischen Reichtum und relativer Armut gibt.

Vergleich Armutsentwicklung Deutschland Griechenland
Änderung der Armutsquoten (50 Prozent des Medians) von 2007 bis 2010 in Prozentpunkten. Quelle: OECD

Kommen wir aber zunächst einmal zur Entwicklung der Armut. Die erste Grafik zeigt uns ein überraschendes Bild. Die relative Armut ist in Deutschland von 2007 bis 2010 ähnlich stark gestiegen wie in Griechenland. In Island und Estland, die beide stark von der Bankenkrise betroffen waren, ist sie dagegen gesunken. Armut wird hier definiert als ein Nettoäquivalenzeinkommen von weniger als 50 Prozent des Medians.

Entwicklung Armut bei unveränderter Armutsdefinition
So hätte sich die Armutsquote (in Prozentpunkten) entwickelt, wenn in 2007 und 2010 die gleiche Armutsgrenze verwendet worden wäre. Quelle: OECD

Wieso haben sich in Deutschland und Griechenland trotz unterschiedlicher Wirtschaftsentwicklung die Armutsquoten so ähnlich entwickelt und sind in Estland sogar stark gesunken? Die Antwort heißt natürlich: Weil Armut relativ gemessen wird. In Griechenland ist das Medianeinkommen so stark gesunken, dass die Armut kaum zugenommen hat, weil die Armutsgrenze jetzt viel niedriger liegt. Hätte man 2010 die gleichen Kriterien herangezogen wie 2007, hätte die Armut um 5,1 Prozentpunkte zugenommen und läge damit bei rund 19 Prozent statt bei 14,3 Prozent.

Noch drastischer ist das Beispiel Estland, dort wäre die Armutsquote nicht um 2,2 Prozentpunkte gefallen, sondern um 2,7 Prozentpunkte gestiegen. Offenbar hat dort die Finanzkrise vor allem die Mittelschicht getroffen, so dass deren Einkommen stärker sank als das der Armen und Armutsgefährdeten.

Anders dagegen in Deutschland, ohne die Anhebung der Armutsgrenze wäre der Anteil der Armen um 1,1 Prozentpunkte gefallen statt um 0,3 gestiegen. Deutschland ist also reicher geworden, die Mitte aber schneller als die unteren Einkommensgruppen, weshalb die relative Armut trotzdem steigt.

Die gerne gehörte Behauptung, in einem reichen Land dürfte es eigentlich keine (relative) Armut geben, ist also falsch. Aber gibt es vielleicht trotzdem einen statistischen Zusammenhang? Gibt es in reichen Staaten weniger Arme? Das steht im nächsten Beitrag. Diesen Beitrag will ich damit abschließen, dass ich auch noch die Armutsquoten der OECD-Staaten einstelle.

Armut in OECD Staaten
Armut in den Staaten der OECD. Quelle: OECD

Weiter geht’s mit dem Thema am Mittwoch.

4 thoughts on “Armutsentwicklung in Europa”
  1. Hallo Herr Jelly, von totaler Armut kann keine Rede sein. Wie sie in meinem Blog nachlesen können, ist die Armutsmessung hierzulande relativ, das heißt die Armutsquote steigt mit dem Einkommen. Gemessen an der Armutsgrenze von 1970 hätten wir heute eine deutlich niedrigere Armut. Die Ursache für den Anstieg der Armut ist umstritten, es deutet aber alles darauf hin, dass ein Treiber vor allem der technische Fortschritt ist.

  2. die Armutsentwicklung in Europa zeigt einzig und alleine die Unfähigkeit der Politiker auf, das heißt für alle Bürger sich zu überlegen ob wir diese Form der Verwaltung weiter haben und bezahlen wollen welche in die totale ARMUT + ABHÄNGIGKEIT führt oder wie die SCHWEIZ eine “ direkte Demokratie fordern “ !

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