Wie würden Sie die unten stehende Grafik über die Entwicklung des Anteils kariesfreier Kinder beschreiben? Vielleicht „Erfreulicher Rückgang der Karieszahlen“, eventuell noch ergänzt um die Anmerkung „Stagnation seit 2005“. Denn seitdem ist der schon spätestens seit den 1970er Jahren andauernde Trend offenbar gestoppt, die Zahl der kariesfreien Kinder stieg sogar um einen Prozentpunkt.
Und das haben die Nürnberger Nachrichten aus diesen Daten gemacht:
Können Bayerns Kinder künftig noch kräftig zubeißen?
Darin bezieht man sich auf den leichten Anstieg der Kinder mit mindestens einem kaputten Zahn bundesweit und auf die etwas höheren Karieszahlen in Bayern, wo man eigentlich wegen des Wohlstandes niedrigere Werte erwarten sollte. Denn anders als früher ist Karies heute kein Problem der Ober- und Mittelschicht, sondern vor allem der ärmeren Kinder. Darf man den Daten der Nürnberger Nachrichten an dieser Stelle trauen, waren bei Mittelschülern (so heißt die Hauptschule in Bayern neuerdings) durchschnitt 2,97 Zähne von Karies befallen, bei Realschülern nur 1,36 und bei Gymnasiasten 1,27. Und weil die Schulform tatsächlich sehr hoch mit dem Einkommen der Eltern korreliert, kann man daraus tatsächlich zumindest grobe Schlüsse auf die Unterschiede zwischen den Einkommensschichten ziehen. Wobei besser sicher eine Analyse nach Milieus wäre, ganz abgesehen davon, dass es sich natürlich nur um Durchschnittswerte handelt.
Aber haben nicht wenigstens die betroffenen dafür immer mehr Karies? Tatsächlich gibt es ja Hinweise darauf, dass Deutschland nicht nur vom Einkommen ungleicher wird (wobei auch dieser Trend seit rund zehn Jahren an Schwung verloren hat), sondern sich auch die Lebensstile weiter auseinanderentwickeln. Aber nein, auch die Zahl der Zähne, die bei 12-Jährigen durchschnittlich befallen sind, ist langfristig zurückgegangen. Leider habe ich nur Daten bis 2000 gefunden, die Nürnberger Nachrichten erwähnen an dieser Stelle nur die oben zitierten Daten nach Schulform und auch das für 15-Jährige und nur für Bayern. Wenn aber 15-Jährige Mittelschüler in der Karieshochburg Bayern durchschnittlich nur 2,97 befallene Zähne haben, dürfte der Durchschnitt für 12-Jährige in Deutschland garantiert unter dem Wert von 1989 von 4,1 Zähnen bleiben, vermutlich sogar unter dem von 2,2 im Jahr 1994. Denn natürlich werden nicht nur die Zähne gezählt, in denen der Karies aktuell wütet, sondern auch die bereits behandelten Zähne, weshalb der Wert über das Alter stetig zunimmt. Wer, wie ich, die 30 schon lange überschritten hat, wird sich eventuell sogar daran erinnern, dass es in den guten alten 1980er in vielen Familien statt Mineralwasser „weiße Limo“ zu trinken gab.
Fast wundert man sich ein bisschen, dass der verantwortliche Journalist Martin Müller nicht noch eine Hochrechnung angestellt hat, nach dem Motto: „Erschreckende Hochrechnung: Wenn die Zahl der Kinder mit Karies alle zehn Jahre weiter um einen Prozentpunkt zulegt, haben in rund 700 Jahren alle Kinder Karies!“