Der Statistiker-Blog hat monatlich rund 3.000 Leser, von denen einige nur einmal und andere öfter vorbei schauen. Das ist für einen Nischenblog keine schlechte Zahl, trotzdem möchte ich die allgemeine Angst für eine weitere Steigerung meiner Reichweite nutzen. Und hier ist der Skandal – bitte gleich an BILD, Spiegel Online, Focus Online, etc. weitergeben und in sämtlichen sozialen Netzwerken posten:
Zahl der kriminellen Kinder steigt rasant: 701 Prozent mehr Tatverdächtige unter sechs Jahre als 1987!!
Tja, liebe Leser. So schlimm steht’s. Unsere Kinder sind nicht mehr erzogen, deshalb klauen sie, schließen sich Terrororganisationen an, verprügeln ihre Mitschüler und stehen im Bus nicht auf, wenn junggebliebene 60-Jährige vom Yoga kommen.
Wahr ist, dass die Zahl der tatverdächtigen Jungen unter 6 Jahren von 1987 bis 2015 um 701 Prozent von 705 auf 5.647 anstieg. Bei den Mädchen ist die Entwicklung ähnlich. Gut, 1991 kamen die Ost-Berliner dazu, 1993 dann Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Aber selbst die Berliner Gören und Bengel können den Anstieg nicht erklären. Zumal es im Jahr 2009 nur 665 Tatverdächtige unter sechs Jahren gab, obwohl der Osten da auch schon mit dabei war. Was ist also los? Abgesehen natürlich vom allgemeinen Verfall der Sitten und besonders der Sitten der Jugend.
Schon Platon hat das beschrieben. Er erklärte sogar die Entstehung der Arten aus dieser Degeneration. Die Götter hatten die Männer nahezu perfekt geschaffen, aber wie ein immer wieder kopiertes Bild verschlechterte sich die Qualität von Generation aus Generation, aus den Feiglingen und Bösewichtern entstanden die Frauen, aus den leichtlebigen Menschen die Vögel, aus jenen, die sich nicht für Philosophie interessierten die Landtiere und aus den dümmsten Idioten die Fische. (Wobei ich Platon nicht selbst gelesen habe, sondern mein Wissen nur aus „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ von Karl Popper beziehe.)
Statistiker-Blog enthüllt: Die Straftaten der Kinder!!!!
Aber was tun diese tatverdächtigen Kinder eigentlich? Stehlen? Morden? Vergewaltigen? Tatsächlich gab es vor einigen Jahren einen Tatverdächtigen unter sechs Jahren mit Tatverdacht Vergewaltigung, das war aber seit 1987 der einzige. Vielmehr gibt es vor allem zwei Straftatbestände, bei denen die Zahl der unter 6-jährigen Tatverdächtigen geradezu explodiert ist. Das ist die unerlaubte Einreise gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr.1a Aufenthaltsgesetz und der unerlaubte Aufenthalt gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1, 2 und Abs. 2 Nr. 1b Aufenthaltsgesetz. Über 5.000 Tatverdächtige entfallen auf diese beiden Kategorien. Nicht kriminelle Kinder sind also der Grund für den Anstieg, sondern mehr strafrechtlich verfolgte illegale Einreisen beziehungsweise Aufenthalte.
Zugegeben, das ist natürlich eine ziemlich langweilige Erkenntnis. Aber das ist eben ganz großer Journalismus: Erst am Ende erfolgt die Auflösung – und dann natürlich auch ganz kurz. Tatsächlich gab es bei den meisten anderen Straftatbeständen keine derartige Entwicklung. Die Zahl der Rohheitsdelikte (genauer Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit) beispielsweise liegt sogar leicht niedriger als 1993, allerdings auch bei etwas weniger unter 6-Jährigen.
Im Zweifelsfall können wir dieses enttäuschende Ergebnis aber auf die Dunkelziffer schieben. Ja, liebe Leser, so weit ist es schon, dass die Zahl der Tatverdächtigen unter 6 Jahren im Bereich Rohheitsdelikte fällt, weil sich alle schon daran gewöhnt haben. Belegen können wir das naturgemäß nicht, sonst wäre’s ja keine Dunkelziffer. Aber soll uns mal jemand das Gegenteil beweisen. Das ist das Tolle an der Kriminalstatistik, es lässt sich jede Aussage mit dem Hinweis abschmettern, die Dunkelziffer sei eben gestiegen oder gefallen.
Aber immerhin, nach langem Suchen haben wir doch noch einen Skandal entdeckt. Denn insgesamt ist die Zahl der Tatverdächtigen in der Kategorie Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit gestiegen. Und das in einigen Teilgruppen auf mehr als das Vierfache!!! Genauer gesagt ein Plus von 321 Prozent. Gegenüber 1993, dem ersten Jahr mit gesamtdeutschen Daten, gibt es immer noch eine Zunahme der Tatverdächtigen um 237 Prozent!!! Das sind +5,7 Prozent pro Jahr.
Wir könnten uns sogar dumm stellen und von eine Plus von 10,8 Prozent pro Jahr schreiben, denn 237 (Prozent) geteilt durch 22 (Jahre) ist ja 10,8. Aber für die Berechnung des durchschnittlichen Zuwachses brauchen wir nun leider das geometrische Mittel, also die 22-te Wurzel aus 3,37 (weil ein Anstieg um 237 Prozent bedeutet, dass unser neuer Wert 3,37 Mal so hoch ist wie der Ausgangswert). Und wir wollen ja mit der Wahrheit lügen und nicht durch Unkenntnis statistischer Verfahren glänzen.
Aber wo hat dieser erschreckende Sitten- und Moralverfall stattgefunden? Leider bei den Frauen ab 60. Ich sage leider, weil die Gruppe nicht besonders skandaltauglich ist. Zum Einen ist die Zahl der Tatverdächtigen mit 7.500 insgesamt immer noch deutlich geringer als etwa bei den 18 bis 21 jährigen männlichen Heranwachsenden, die es auf 42.000 Tatverdächtige schaffen. Wobei sich gute Skandal-Journalisten von den Absolutzahlen natürlich nicht beirren lassen. Man kann sie ja einfach weglassen. So wie Ärzte das tun, die über ihre geringen Gehaltszuwächse jammern ohne ihren absoluten Verdienst zu nennen.
Außerdem kann man solche Zahlen extrapolieren. Man suche sich einfach zunächst das Jahr, seitdem es den höchsten Zuwachs gab. Das ist zufällig genau unser Jahr 1993. Dann unterstellen wir diesen Zuwachs für jedes Jahr – und Zack, bereits im Jahr 2048 wird es mehr weibliche Tatverdächtige über 60 in diesem Bereich geben als heute Heranwachsende. Und da unterstellen wir nur einen weiter gleichbleibenden Anstieg von 5,7 Prozent pro Jahr. Dabei weiß doch jeder, dass alles immer schlimmer wird, der Anstieg als weiter steigen muss.
Einwenden kann man auch, dass die Zahl der Frauen über 60 ebenfalls gestiegen ist, aber das ist noch nicht der größte Hacken. Diese Information kann am einfach weglassen. Doch es ist schwerer sich eine Horde fieser männlicher Jugendlicher vorzustellen als einen Haufen gemeiner Frauen über 60. Unfreundliche Jugendliche sind verzogene Fratzen, pöbelnde Omas „resolute ältere Damen“. Und ohnehin, die Senioren-Lobby. Die würde sich schnell auf die verantwortlichen Redakteure einschießen. Auch die überwiegend älteren Abonnenten wollen lieber etwas über den Verfall der Moral in der Jugend als über rohe Rentnerinnen lesen. Oder hat man schon mal eine Gruppe älterer Menschen dabei beobachtet wie sie in einem Wellness-Hotel klagen: „Also wirklich, zu meiner Kindheit hätten sich die Senioren so etwas nicht leisten können. Die waren noch froh, wenn sie genug zu essen hatten – und trotzdem glücklich“.
Ein schweres Dilemma. Hier mein ultimativer Lösungsansatz für einen ordentlichen Skandalartikel:
Zahl der kriminellen Kinder steigt rasant: 701 Prozent mehr Tatverdächtige unter sechs als 1987!! Rohheitsdelikte steigen um bis zu 237 Prozent!!!
Zahl der tatverdächtigen Jungen unter 6 Jahren stieg 1987 bis 2015 um 701 Prozent auf 5.647 an!!!! Rohheitsdelikte stiegen seit 1993 um bis zu 237 Prozent.
Alle übrigen Infos werden weggelassen. Dann überfordert das von der Länge auch niemanden. Das war’s bis nach Weihnachten, deshalb allen Leserinnen und Lesern ein gesegnetes und hoffentlich friedliches Weihnachtsfest.
[…] Kinderkriminalität steigt rasant! […]
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Sehr nett.