Der Begriff „Alternative Fakten“ ist das Unwort des Jahres. So etwas freut den Statistiker-Blog natürlich. Schließlich ist es unser Anspruch, möglichst vorurteilsfrei auf die Daten zu blicken. Dabei halten wir es mit Karl Popper der sagte, Objektivität sei zwar nicht möglich, aber sollte ein Ziel sein.
Allerdings ist die Sache nicht ganz so einfach, wie sie in vielen Zeitungen dargestellt wurde. Klar ist die Sache, wenn „Fakten“ einfach erfunden werden. Wenn beispielsweise eine rechte Website eine Statistik über Ausländerkriminalität veröffentlicht, deren Daten am Computer vom Autor selbst zusammengebastelt wurden. Schwieriger ist es, wenn auf solchen Seiten die offiziellen Daten als zu niedrig in Zweifel gezogen werden. Sind das schon alternative Fakten? Und wenn ja, gilt das auch wenn umgekehrt Linke die offiziellen Daten als zu hoch bezeichnen?
Natürlich muss man Daten kritisch hinterfragen. Tatsächlich wurde im englischen Rotherham ein Missbrauchsskandal jahrelang vertuscht, weil die Täter überwiegend pakistanischstämmig waren. Umgekehrt stimmt es auch, dass Ausländer alleine deshalb öfter in der Kriminalitätsstatistik auftauchen, weil bestimmte Delikte gar nicht von Inländern begangen werden können. Beispielsweise Verstöße gegen das Ausländerrecht.
Man darf also Daten auch nicht unreflektiert hinnehmen. Was ist aber der richtige Umgang mit Fakten? Zunächst einmal sollte man immer hinterfragen, welche Erklärungen es für einen beobachteten Sachverhalt noch geben könnte außer die beschriebene. Idealerweise tut man das auch, wenn die Studie die eigene Meinung bestätigt.
Aber natürlich kann man immer ein Haar in der Suppe finden. Deshalb sollte man zweitens seine Meinung zwar nicht alleine deshalb ändern, weil eine Studie etwas anderes behauptet. Wenn aber eine Erhebung nach deren anderen der eigenen Gewissheit widerspricht ist es an der Zeit, auch mal in Betracht zu ziehen, dass die eigene Meinung falsch sein könnte.
Das gilt für alle politischen Strömungen. In den Zeitungsbeiträgen verwiesen Journalisten gerne auf Trump, Neonazis und Islamisten. Das stimmt, alle drei sind nicht für ihre Wahrheitsliebe bekannt. Aber auch die Linke, gerade die radikale Linke, hat ein gespaltenes Verhältnis zur Statistik. Und wenn wir von Fakten reden, dann landen wir oft auch bei der Statistik. Ob die Gewalt wirklich stetig steigt, Ältere häufiger arm sind als Kinder und Deutschland trotz aller Sparbemühungen besonders viel CO2 produziert lässt sich nur mit Hilfe von Statistik herausfinden (nein, nein und ja lauten die Antworten).
Neonazis, Islamisten und Donald Trump haben es wie gesagt nicht so mit der Faktenfundierung ihrer Aussagen. Aber auch die radikale Linke tut sich mit der Akzeptanz wissenschaftlicher Ergebnisse schwer, wen sie den eigenen Ansichten widersprechen. Das habe ich nicht nur in meiner Zeit als Arbeitsmarktstatistiker bei der Bundesagentur für Arbeit erlebt. Karl Popper wurden von Seiten der (linken) Frankfurter Schule Positivismus vorgeworfen, als er die Überprüfung von Theorien durch empirische Untersuchungen forderte. Bis heute hat sich die Bezeichnung Positivismusstreit für die Auseinandersetzung gehalten, dabei lehnte Popper den Positivismus ab.
Nun will ich Adorno oder Habermas nicht mit Donald Trump vergleichen. Trotzdem bleibt festzustellen, dass nicht alleine die Rechten ein Problem mit ihren Ansichten widersprechenden Fakten haben (zu den Rechten zähle ich auch die Islamisten). Radikale Konstruktivisten gehen so weit, dass ihrer Meinung nach alle wissenschaftlichen Ergebnisse (außer den eigenen) nur der Spiegel von Machtverhältnissen sind. Nicht nur sozialwissenschaftliche, sondern auch naturwissenschaftliche Ergebnisse. Die finden sich nicht nur, aber oft in der politischen Linken. Einige halten dort den Rückgang der Arbeitslosenzahlen seit 2006 immer noch für eine Lüge der Statistiker.
Um zum Schluss zu kommen. Wer sich über alternative Fakten ärgert, der kommt an der Empirie und der Statistik nicht vorbei. Das bedeutet nicht auf eine kritische Prüfung der Daten zu verzichten, im Gegenteil. Wohl aber den Daten eine Chance zu geben. Und auch seine Meinung in Frage zu stellen, wenn die Daten ständig gegen sie sprechen. Das gilt nicht nur für die politische Rechte, sondern auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Klar muss auch sein: Objektiv ist niemand. Nicht einmal der Statistiker-Blog.