Wir bleiben noch etwas beim Thema Männergesundheit. Ausgangspunkt für die Artikelreihe (hier geht’s zum ersten Beitrag, hier zum zweiten) war ja die Behauptung der Parteizentrale der Grünen, die Übersterblichkeit der Männer beruhe auf Faktoren, die kein politisches Handeln erfordern, da sie entweder biologisch sein wie das zweite X-Chromosom der Frauen oder auf unterschiedlichen Verhaltensweisen. Wobei letztere nach Meinung der Partei offenbar auch biologisch bedingt sind – sonst wäre es ja ein Thema für die Politik. Immerhin verstehen sich die Grünen sonst als Gleichstellungspartei.

Gäbe es keinen kulturellen Einfluss, sondern wären die Unterschiede rein biologisch, wie die Antwort der Parteizentrale der Grünen impliziert, dann dürfte es auch keine großen regionalen Unterschiede bei der Lebenserwartung von Frauen und Männern geben. Also habe ich mir diesmal die Lebenserwartung nach Geschlecht weltweit angesehen. Dabei habe ich auf die Daten des World Factbook der CIA zugegriffen.

Lebenserwartung weltweit Grafik
Lebenserwartung weltweit für beide Geschlechter. Ohne Kleinstaaten unter einer Million Einwohner, mit abhängigen Gebieten. Quelle: CIA

Das World Factbook führt nicht nur alle selbstständigen Staaten auf, sondern auch abhängige Gebiete, beispielsweise das von Großbritannien verwaltete Montserrat oder das chinesische Hong Kong. Allerdings ist Montserrat bei mir gleich wieder rausgeflogen, weil ich Staaten unter einer Million Einwohner nicht berücksichtige. Monaco hat beispielsweise die weltweit höchste Lebenserwartung, das ist aber wenig verwunderlich, weil dort fast nur Reiche wohnen. Auch sonst sind Kleinststaaten oft nicht mit großen Ländern vergleichbar. Unter den Top 10 finden sich deshalb auch auffällig viele Kleinststaaten, beispielsweise Macau (chinesische Sonderverwaltungszone), San Marino und Andorra.

Nimmt man sie raus, bleiben viele asiatische Länder an der Spitze übrig, unter den Top 5 (siehe Grafik) sind es immerhin drei, nämlich Singapur, Japan und Hong Kong.

Singapur Asien Lebenserwartung
In Singapur lebt man besonders lange. Foto: Jason Goh, gemeinfreies Bild von Pixabay

Am anderen Ende der Skala findet man, wenig überraschend, vor allem afrikanische Staaten sowie Afghanistan.

Der Geschlechterunterschied weltweit

Betrachtet man nur die Männer, sieht es nicht viel anders aus. Hong Kong würde etwas schlechter abschneiden und hinter Israel rutschen und wäre gleichauf mit der Schweiz, Singapur würde Japan noch deutlicher hinter sich lassen (Frauen leben in Japan länger, Männer in Singapur).

Am anderen Ende bliebe Afghanistan auf dem letzten Platz, aber Somalia würde auf den vorletzten abrutschen. Grund dürfte der Bürgerkrieg sein. Davon abgesehen ändert sich wenig.

Insgesamt gilt: Wo Frauen lange leben, leben auch Männer lang. In wohlhabenden, friedlichen Staaten ist die Lebenserwartung für beide Geschlechter hoch. Aber eben nicht im gleichen Maße. Beispielsweise beträgt die Lebenserwartung der Männer in Russland nur 84,9 Prozent derjenigen der Frauen, in Montserrat ist sie dagegen sogar leicht höher. Nun hat das britische Überseegebiet (früher hätte man gesagt „die Kronkolonie“) Montserrat nur rund 5.000 Einwohner, ist also ebenso wie das Königreich Bhutan, wo Männer fast genauso lange leben wie Frauen, zu klein für die Übersicht.

Islamische Länder vorne, „Sowjetunion“ hinten

Bereinigt um die Kleinststaaten bleiben Lesotho, Nepal, Mosambik, der Libanon und die Vereinigten Arabischen Emirate als Staaten mit besonders geringen Unterschieden in der Lebenserwartung. Wobei das im Fall von Lesotho nur daran liegt, dass Frauen dort so früh sterben und nicht daran, dass Männer lange leben. Auffällig ist, dass sich unter den Top 20 mit dem niedrigsten Unterschied in der Lebenserwartung viele islamische Länder finden. Nun könnte man behaupten, dort seien die Lebensbedingungen für Frauen eben besonders schlecht. Allerdings hat das Patriarchat für Männer nicht nur Vorteile (ich würde sogar sagen mehr Nach- als Vorteile). Beispielsweise bedeutet die Polygamie in der islamischen Welt für Männer einen besonders harten Wettbewerb um Ehepartnerinnen, wie der Religionswissenschaftler Michael Blume schreibt.1 Das dürfte sich ebenfalls nicht positiv auf die Lebenserwartung von Männern auswirken (und auch nicht auf die Lebensqualität von Frauen).

Allerdings ist in islamischen Ländern der Alkoholkonsum reduziert. Nicht völlig Null, immerhin ist das siebtgrößte Unternehmen im türkischen Aktienindex ISE 100 eine Brauerei (Anadolu Efes).

Neben den islamischen sind es vor allem skandinavische Länder, die einen unterdurchschnittlich großen Unterschied in der Lebenserwartung aufweisen. Deutschland liegt dagegen nur im Mittelfeld.

Insofern hat die Parteileitung der Grünen vermutlich recht, wenn sie den Alkohol- und Tabakkonsum als einen der Gründe für die unterschiedliche Lebenserwartung anführt. Aber sie hat nicht recht, wenn sie impliziert, dass die Gründe dafür „angeboren“ seien.

Fazit

Unabhängig von der Frage, ob es nun wirklich der Alkohol ist, der Männer in vielen Ländern so früh sterben lässt. Dass Männer und Frauen in Nepal fast gleichlang leben, in Russland aber die Männer rund 15 Prozent weniger Lebenszeit haben, spricht dafür, dass es durchaus kulturelle und soziale Ursachen für den Unterschied gibt. Natürlich darf man auch nicht übersehen, dass ein geringer Unterschied in der Lebenserwartung auch Ergebnis einer hohen Kinderzahl oder schlechteren Lebensbedingungen von Frauen sein kann. Dass aber der Unterschied in der Lebenserwartung in den skandinavischen Ländern eher unterdurchschnittlich ist, in relativ patriarchalischen Ländern wie Russland dagegen überdurchschnittlich, spricht dafür, dass es auch andere Gründe gibt. Das Thema „Gender Life Expactancy Gap“ gehört deshalb auf die Tagesordnung der Politik.

Footnotes

  1. Blume, Michael: Islam in der Krise – Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug, Mannheim 2017
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