Eine (zugegeben schon drei Jahre alte) Studie des deutsch-US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Yascha Mounk und des Australiers Roberto Stefan Foa im Journal of Democracy legt den Schluss nahe, dass ausgerechnet rund 30 Jahre nach dem Fall der Mauer die Mehrheit der Millennials (damit sind meist die zwischen 1980 und der Jahrtausendwende gebornen Menschen gemeint) die Demokratie nicht besonders wichtig findet – sofern sie sich überhaupt für Politik interessiert.1
Die Jugend von heute…
Über die Jugend von heute wird immer geklagt. Nicht immer zurecht, beispielsweise ist die Jugendkriminalität eher gesunken, bei den Rohheitsdelikten tauchen vor allem alte weiße Frauen häufiger in der Statistik auf (wobei „alt“ hier über 60 meint und die Statistik keine Aussage über die Hautfarbe trifft). „Wer über die Jugend von heute jammert, jammert eigentlich darüber, dass er alt wird“, lautet ein häufig zitierte Aphorismus.
Mounk und Foa haben aber eine ganze Reihe von Daten zusammengetragen. Außerdem werden beide eher dem linken und nicht dem konservativen Milieu zugerechnet, wo die Klagen über den Sittenverfall der Jugend eigentlich zu Hause sind (wobei die Linke in den vergangenen Jahren immer mehr Themen der klassischen Rechten übernommen hat).
Der Studie zufolge finden nur 19 Prozent der US-amerikanischen Millennials eine Machtübernahme durch das Militär illegitim, verglichen mit 43 Prozent der älteren US-Amerikaner. In der Europäischen Union ist der Unterschied mit 36 zu 52 Prozent allerdings etwas geringer. Und gerade mal 33 Prozent sehen Bürgerrechte als „absolut essenziell“, verglichen mit 41 Prozent der Älteren (was ebenfalls wenig ist). Auch hier ist der Unterschied in der EU mit 39 zu 45 Prozent geringer.
Mehr als ein Viertel der Millenialls (26 Prozent) findet freie Wahlen außerdem „unwichtig“, bei den Baby-Boomern sind es nur 14 Prozent, bei den zwischen den Weltkriegen geborenen Menschen sogar nur 10 Prozent.
Deutlich ist der Rückgang bei der Frage, ob man die Demokratie für „absolut wichtig“ halte. Bei den in den 1930er Jahren geborenen US-Amerikanern, die sich an den Rückzug der Demokratie in den 1930 und 1940er Jahren zumindest aus Erzählungen der Eltern noch erinnern, sagen das 71 Prozent, bei den in den 1980er Jahren geborenen nur noch 29. Auffällig sind dabei die Differenzen zwischen den in den 30er und den 40er Jahren geborenen sowie den in den 70er und 80er Jahren zur Welt gekommenen.
Das würde aber zu einer von Mounk geäußerten Vermutung passen, dass man nämlich die Erziehung zu einem kritischen Geist übertrieben hat. Aus der Kritik der Institutionen, so Mounk, ist teilweise ihre Verachtung geworden. Er erzählt dazu das Beispiel einer Studentin, die ihm von einem Dilemma berichtet. Sie finde Demokratie wichtig, doch die basiere auf den Werten der Aufklärung. Die aber, so habe sie auf der Universität gelernt, seien verfolgen und falsch.
Die in den 1940er Jahren geborene (und in den 1960er Jahren jugendlichen) Menschen haben diesen Geist etabliert, die in den 1980er Jahren geborenen sind dann die erste Generation, die nur noch wenige Lehrer oder Hochschuldozenten hatten, die vor 1940 geboren wurden. So könnte man die beiden deutlichen Rückgänge erklären. Das ist allerdings reine Spekulation. Es sind auch viele andere Erklärungen denkbar und nicht zuletzt kann auch immer der Zufall eine Rolle spielen.
Was sagt uns das?
Ohnehin ist es schwer festzustellen, ob es sich um einen Kohorten- oder einen Alterseffekt handelt. Also ob junge Menschen heute generell die Demokratie eher infrage stellen als die Generation ihr Eltern oder Großeltern oder ob es lediglich jugendlicher Übermut ist, der Diktaturen als „eigentlich ganz okay“ erscheinen lassen und die in den 1980er Jahren geborenen Menschen in 50 Jahren auch die Demokratie so schätzen werden wie heute der 1930er-Jahrgang.
Erinnern wir uns an die Thyrannophilie vieler junger Menschen in den 1960er Jahren. Der bis heute von vielen US-Linken verehrte Noam Chomsky beschönigte beispielsweise die Morde des kambodschanischen Kommunisten Pol Pot, während dessen Herrschaft ein Demozid nach Schätzung von Ben Kiernan vom Genocide Studies Program der Universität Yale rund ein Fünftel der Bevölkerung des Landes umkam (andere Studien kommen zu niedrigeren Ergebnissen von „nur“ zehn Prozent, wieder andere gehen von weit höheren Zahlen aus). Che Guevara, ebenfalls alles andere als ein Demokrat, wurde zur Pop-Ikon der Zeit und in Berlin skandierten die Studenten vof 50 Jahren „Ho-, Ho-, Ho-Chi-Minh“.2
Um einen Verlust des Vertrauens in die Demokratie zu diagnostizieren bräuchten wir also mehr Daten. Immerhin liegen diese zum Interesse an Politik vor. Hier ist tatsächlich ein deutlicher Rückgang festzustellen. 1990 gaben noch 53 Prozent der 16 bis unter 36-Jährigen in den USA und 48 Prozent in der EU an sich für Politik zu interessieren. Bis 2010 sank der Wert auf 41 Prozent in den USA und 38 Prozent in der EU. Bei den 36 Jahre und älteren Menschen gab es in der EU keine Veränderung, in den USA stieg das Interesse sogar.
Außerdem steigt der Anteil der extremistischen Jugendlichen an. Beispielsweise wurden Menschen gebeten, sich auf einer Skale von 1 (weit links) bis 10 (weit rechts) selbst einzuordnen. Hier liegen im World Value Survey Daten für verschiedene Zeiträume vor.3 In fast allen wohlhabenden und freien Ländern stieg der Anteil derer, die sich einem der beiden Extreme zuordneten.
Allerdings ist Jugend nicht das alleinige Problem. Insgesamt steigt die Zustimmung zu einem starken Führer und die Ablehnung der Demokratie in praktisch allen wohlhabenden Ländern. Mitunter wird die Abschaffung oder Einschränkung der Mitbestimmungsrechte des Volks von einigen Autoren oder Politikern ganz offen gefordert, als Alternative wird oft eine „Herrschaft der Gebildeten“ genannt, wobei sich die Redner natürlich als solche verstehen.
Unterschiede zwischen sozialen Gruppen und Ländern
Leichter zu bewerten ist die Einstellung zwischen den Ländern. Wie gesehen ist das Interesse an Politik in den USA höher, was aber nicht unbedingt ein gutes Zeichen sein muss. Denn es könnte auch Folge der dortigen Polarisierung sein.
Nach wie vor ist die freie Meinungsäußerung den US-Amerikanern aber wichtiger. Bei der Frage ob Aussagen zensiert werden dürfen, wenn Minderheiten kritisiert werden, antworteten nur 28 Prozent der US-Amerikaner mit „Ja“, aber 70 Prozent der Deutschen. Wir liegen damit an der Spitze, denn im EU-Schnitt finden das nur 49 Prozent. Hoch ist die Zustimmung auch in Italien oder Polen, allerdings mit 62 und 50 Prozent immer noch deutlich niedriger.
Für die USA wurden die Daten weiter aufgeschlüsselt. Die Millennials sind mit 40 Prozent erwartungsgemäß besonders Zensur-freudig, auch hier bleibt aber offen, ob es sich um einen Kohorten- oder einen Alterseffekt handelt.
Auffällig ist, dass – entgegen der Kritik am US-Bildungssystem – die Meinungsfreiheit mit höherem Bildungsabschluss höher geschätzt wird und Frauen eher bereit sind diese einzuschränken als Männer.
Footnotes
- Alle Daten in diesem Artikel nach Mounk, Yascha: Der Zerfall der Demokratie – Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht, München 2018, S. 115 – 130
- Siehe zu diesem Thema auch Herman, Arthur: Propheten des Niedergangs – Der Endzeitmythos im westlichen Denken, Berlin 1998
- Da die zitierten Länder in verschiedenen Wellen erhoben wurden, liegt die erste Erhebung jeweils zwischen 1989 und 1996, die zweite zwischen 2006 und 2012
[…] Zunächst einmal etwas Positives zur Landtagswahl in Thüringen: Die Wahlbeteiligung lag mit 64,9 Prozent so hoch wie seit 1994 nicht mehr. Bei den Wahlen 1990 und 1994 hatte die Quote noch über 70 Prozent gelegen, war aber schon 1999 unter d9e 60-Prozent-Marke gefallen und hatte sich zuletzt in Richtung 50 Prozent bewegt. So kommt es, dass trotz sinkender Bevölkerungszahl die Zahl der Wähler gestiegen war. Vielleicht ist die Demokratie noch nicht ganz am Ende. […]