Vergangenen Monat haben wir uns mit dem Thema Arbeitslosigkeit beschäftigt, heute bleiben wir bei einem ähnlichen Thema, nämlich dem Thema Arbeitslosengeld 2.
Nicht alle Leistungsbeziehenden sind arbeitslos
Zwischen der Gruppe der Arbeitslosen und den sogenannten erwerbsfähigen Leistungsbeziehenden (ELB, früher erwerbsfähige Hilfebedürftige, EHB) gibt es eine große Schnittmenge.
Auch wenn ich es in anderen Beiträgen schon mal erwähnt haben, wiederhole ich es der Vollständigkeit hier noch mal. Es gibt sowohl Arbeitslose, die keine ELB sind als auch ELB, die nicht arbeitslos sind.
Arbeitslose können
- Arbeitslosengeld nach dem SGB III erhalten,
- Arbeitslosengeld 2 nach dem SGB II erhalten oder
- keinerlei Leistungen erhalten.
Die zweite Gruppe gehören zu den ELB, die anderen beiden nicht.
Aber auch umgekehrt sind nicht alle ELB arbeitslos gemeldet. Sie können
- arbeitslos gemeldet sein,
- an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilnehmen,
- zur Schule gehen,
- in Elternzeit sein,
- krank sein,
- aufgrund einer Sonderregel des SGB III nicht als arbeitslos gelten oder
- erwerbstätig sein.
Die letzte Gruppe sind jene, die so wenig verdienen, dass sie ergänzend Leistungen nach dem SGB II erhalten.
Hinzu kommen Sozialgeldbeziehende, das sind nicht erwerbsfähige Menschen, die mit mindestens einer Person zusammenleben, die erwerbsfähig ist. Würden sie alleine leben, würden sie Sozialhilfe nach dem SGB XII erhalten. Sozialgeld erhalten also vor allem Kinder unter 15. Kinder ab 15 sind erwerbsfähig und daher ELB, auch wenn sie noch zur Schule gehen und deshalb nicht arbeitslos sind.
Die Entwicklung seit 2005
Nach dieser kurzen Einführung kommen wir zu den Zahlen. Spannend ist weniger die Zahl der Leistungsbeziehenden insgesamt, denn deren Verlauf ist auch von der Bevölkerungsentwicklung abhängig.
Die SGB II Quote
Interessanter ist daher die sogenannte SGBII-Quote. Die setzt alle Menschen, die Arbeitslosengeld 2 oder Sozialgeld beziehen, in Relation zur Gesamtbevölkerung. Genauer müsste man sagen, alle Menschen, die in einer Bedarfsgemeinschaft mit Leistungsempfängern leben, denn der 16-jährige Sohn, der noch zu Hause wohnt, aber schon eigenes Geld verdient und für den daher kein Geld mehr gezahlt wird, zählt auch mit. Der häufigere Fall für diese Konstellation sind aber Kinder, die Unterhalt von einem leiblichen Elternteil bekommen. Ist das ausreichend hoch, beziehen sie kein Sozialgeld, unter Umständen aber die Mutter oder der Vater. Insgesamt ist die Zahl der Personen in Bedarfsgemeinschaften ohne eigenen Leistungsanspruch aber niedrig.
Berechnet wird die SGB II – Quote in Relation zu den unter 65-Jährigen, denn wer über 65 ist, erhält Leistungen nach dem SGB XII.
Nachdem das SGB II 2005 an den Start gegangen war, bezogen im Jahresdurchschnitt 8,6 Prozent der Deutschen SGB II – Leistungen, im Jahr darauf sogar 9,8 Prozent. Rund jeder zehnte Deutsche unter 65 lebte also von Hartz IV.
Einen Anstieg der SGB II – Quote gab es seit 2006 nur im Jahr 2017, als der Prozentsatz von 7,9 auf 8,0 Prozent anstieg. 2021 wurde ein neuer Tiefststand von 7,0 Prozent erreicht.
SGB II – Quote als Indikator für Armut und Unterbeschäftigung
Die SGB II – Quote hat den Vorteil, dass sie ein gutes Bild darüber bietet, wie viele Menschen zwar theoretisch erwerbsfähig sind, aber staatliche Unterstützung beziehen.
Der Nachteil ist, dass die Entwicklung der SGB II – Quote auch von der Höhe der Sozialleistungen abhängig ist. Eine Erhöhung des Satzes führt zu steigenden Zahlen. Denn Geringverdienende haben dann plötzlich Anspruch auf Leistungen. Denn wenn das Einkommen nach dem Abzug von Freibeträgen niedriger liegt, als die Sozialleistungen, kann die Differenz aufgestockt werden – sofern nicht zu viel Vermögen vorhanden ist.
Umgekehrt führt eine Erhöhung des Satzes unterhalb der Inflationsrate dazu, dass Menschen ihren Anspruch auf Leistungen verlieren, obwohl sie nicht mehr Geld als zuvor in der Tasche haben, ähnlich wie bei der kalten Progression im Steuerrecht.
Hohe und niedrige Quoten
Hohe Quoten rund um Bremen und im Ruhrgebiet
Besonders hoch ist die SGB II – Quote schon seit vielen Jahren in Bremerhaven und Gelsenkirchen. Seit 2017 hat Gelsenkirchen Bremerhaven als Spitzenreiter abgelöst, mit 20,5 Prozent liegt die SBB II – Quote sogar höher als 2005 (17,9 Prozent) und kaum unter dem Höchstwert von 20,9 Prozent aus dem Jahr 2017.
In Bremerhaven hat sich die Situation nur wenig besser entwickelt, die Quote liegt dort mit 18,4 Prozent etwas besser als 2005 mit 19,6 Prozent.
Überhaupt liegen die Städte mit den SGB II – Quoten über 15,0 Prozent entweder an oder nahe der Nordseeküste, neben Bremerhaven noch Bremen und Wilhelmshaven – oder im Ruhrgebiet. Wobei auch Berlin mit 14,0 Prozent nahe an der Spitzengruppe liegt. Immerhin ist dort der Wert von 16,7 Prozent im Jahr 2005 und sogar 19,0 Prozent im Jahr 2007 deutlich gefallen
Niedrige Quoten in Bayern
Besonders niedrig sind die Quoten in Bayern, alle Kreise mit einer Quote von unter 1,5 Prozent liegen im Freistaat. Der langjährige Spitzenreiter Eichstätt wurde von Pfaffenhofen an der Ilm abgelöst. Der Landkreis liegt direkt an der Bahnstrecke von München nach Ingolstadt, Menschen dort können also in die beiden prosperierenden Zentren pendeln. Beide Kreise haben eine SGB II – Quote von 1,2 Prozent, genauer 1,24 in Pfaffenhofen und 1,25 in Eichstätt.
Es folgen das mittelfränkische Ansbach, Unterallgäu und Donau-Ries in Schwaben und Neumarkt in der Oberpfalz. Es handelt sich erstaunlicherweise dabei überwiegend nicht um „Speckgürtellandkreise“, sondern um überwiegend ländliche Gegenden, auch wenn Teile des Landkreises Ansbach und vor allem des Kreises Neumarkt im Einpendelbereich von Nürnberg liegen.
18 weitere bayerische Landkreise haben ebenfalls eine 1 vor dem Komma, sie kommen aus dem gesamten Freistaat, von Speckgürtelkreisen um München (z.B. Freising, Dachau oder Ebersberg) und Nürnberg (Landkreise Fürth, Roth, Erlangen-Höchstadt) bis hin zum vergleichsweise strukturschwachen Oberfranken (Landkreise Bamberg, Bayreuth).
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auch vorn dabei
Eine Quote unter 2,5 Prozent haben mit Trier-Saarburg, dem Hohenlohekreis, Rottweil, dem Alb-Donau-Kreis und Biberach auch ein rheinland-pfälzischer und vier Landkreise, außerdem 21 weitere bayerische Landkreise. Den besten Wert außerhalb Bayerns erreicht Biberach mit 2,0 Prozent.
Großstädte stehen schlechter da
Wie erwähnt sind erstaunlich viele sehr ländliche Regionen unter den Landkreisen mit den niedrigsten Quoten. Vor allem Landkreise wie Ansbach, Eichstätt und Pfaffenhofen stehen gut da, die noch im Pendelbereich einer Großstadt liegen, aber nicht direkt an sie angrenzen, also der äußere Speckgürtel. Wobei etwa der Landkreis Ansbach zu großen Teilen auch nicht mehr zum äußeren Speckgürtel zählt, ebenso wenig wie Rhön-Grabfeld oder Freyung-Grafenau besonders nahe an einer Großstadt liegen würden.
Die Großstädte selbst haben deutlich höhere SGB II – Quoten, Bremerhaven, Gelsenkirchen, Herne, Essen oder Wilhelmshaven sind allesamt Städte.
Universitätsstädte schwer vergleichbar
Die Universitätsstädte Erlangen, Heidelberg und Ulm sind mit einer SGB II – Quote von 4,0 beziehungsweise 4,2 und 4,4 Prozent die einzigen Großstädte mit einer Quote von unter 4,5 Prozent. Es folgt das thüringische Jena mit 5,8 Prozent, ebenfalls eine Universitätsstadt. Uni-Städte sind nicht nur im Vorteil, weil es dort viele Arbeitsplätze gibt, sondern auch wegen der vielen Studierenden. Die bekommen meist keine SGB II – Leistungen, sondern BAföG, gehen aber bei der Berechnung der Quote im Nenner mit ein.
Ingolstadt ist mit 4,8 Prozent die Großstadt mit der niedrigsten Quote ohne große Universität. Die berühmte bayerische Landesuniversität in Ingolstadt, an der unter anderem Victor Frankenstein studierte (der fiktive Schöpfer von Frankensteins Monster aus Mary Shelleys Roman „Frankenstein oder der moderne Prometheus“), wurde bereits vor rund 200 Jahren erst nach Landshut und dann nach München verlegt, die heutige Ludwigs-Maximillians-Universität.
München steht mit einer Quote von 5,1 Prozent unter den Städten mit mindestens 500.000 Einwohnern am besten da.
Hohe Dynamik im Osten
Die Dynamik ist allerdings im Osten besonders groß. Das ist, betrachtet man die Veränderung in Prozentpunkte von 2005 bis 2021, auch nicht überraschend. Immerhin kann eine Quote von 1,0 Prozent nicht um 11,0 Prozentpunkte fallen wie in Vorpommern-Greifswald, wo die Quote von 2005 bis 2021 von 20,3 auf 9,3 Prozent fiel.
Wobei die Rückgänge der Quote von 4,1 Prozent auf 1,6 Prozent im niederbayerischen Freyung-Grafenau oder von 5,7 auf 2,2 Prozent im unterfränkischen Rhön-Grabfeld auch beeindrucken sind, auch wenn sie in Prozentpunkten vergleichsweise niedrig sind.
Mecklenburg-Vorpommern mit deutlicher Verbesserung
Aber Mecklenburg-Vorpommern. Mit einem Minus von 9,0 Prozentpunkten würde das Bundesland zu den Kreisen mit dem höchsten Rückgang gehören.
Natürlich haben nicht alle diese Menschen eine gut bezahlte Arbeit gefunden. Viele sind in den Ruhestand gegangen, die Zahl der Erwerbspersonen ist gesunken. Allerdings sind auch zahlreiche neue Jobs entstanden, vor allem in Leipzig und Dresden und es spricht für das Engagement der Bevölkerung, dass viele lieber umgezogen sind als arbeitslos zu bleiben oder zu werden. Man sollte die Entwicklung daher nicht kleinreden.
Es gibt auch Anstiege, vor allem in den Städten
Auch das Ruhrgebiet war bereits 2005 in der Krise, dort ist die Situation aber oft noch schlimmer geworden. Insgesamt liegt in 31 Städten und Landkreisen die SGB II – Quote heute höher als 2005.
Die meisten Gebiete mit einer gestiegenen SGB II – Quote sind Städte. Deren Quote lag schon 2005 höher als auf dem Land, doch der Unterschied hat sich seitdem vergrößert.
Besonders hoch ist der Anstieg in Wiesbaden, wo die SGB II – Quote heute mit 11,3 Prozent 4,0 Prozentpunkte höher ist als 2005. Die übrigen Kreise liegen alle in der Metropolregion Rhein-Ruhr, wobei Mettmann der einzige Landkreis ist, die übrigen Kreise sind Stadtkreise.
Fazit
Die SGB II Quote ist gesunken, vor allem in Ostdeutschland und dort vor allem in Mecklenburg-Vorpommern. In mehreren Städten ist sie aber angestiegen, obwohl sie schon 2005 auf dem Land niedriger war als in den kreisfreien Städten. Diese Differenz hat sich seitdem vergrößert.
Der Hinweis auf die Erwerbstätigkeit ist nicht nachvollziehbar, denn die Zahl der Erwerbstätigen und auch der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten steigt, während die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter stagniert. Ob die Zahl der Erwerbsunfähigen angestiegen ist, müsste sich leicht nachvollziehen lassen. Ich habe aber meine Zweifel, ob diese Zahl wirklich angestiegen ist, da nach dem 1. Januar 1961 geborene Menschen keinen Anspruch auf eine staatliche Berufsunfähigkeitsrente mehr haben, wenn sie nicht bereits zum 31. Dezember 2000 berufsunfähig waren.
Ich bin bei der SGB-II-Quote etwas vorsichtig bzgl. der Interpretation. Es gibt eine nicht unerhebliche Anzahl von U65 die aus den Erwerbspersonen rausgerechnet und in die Erwerbsunfähigkeit (EU) verschoben wurden. Die EU-Rente muss also mit rein in diese Rechnung. Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und deren Vollzeitäquivalent sind auch Daten die zur Abschätzung des Arbeitsmarktes herangezogen werden können. Und diese Zahlen und Quoten sind alles andere als im Steigen begriffen.
Die leicht sinkende SGB-II-Quote vermittelt nach meiner Auffassung ein verzerrtes und aufgehüpschtes Bild der realen Lage. Sieht man sich die reale Erwerbstätigkeit an und bezieht dies auf die Zahl der Erwerbspersonen (nach Zahlen von Destatis und/oder SOeP) bekommt man ein wesentlich hässlicheres Bild des real marodierenden Kapitalismus.