Demokratiemessung
Das Bundeskanzleramt in Berlin, Zentrum der exekutiven Macht in der Bundesrepublik. Bild: Bundesbildstelle

Die Angst um die „Mitte“ ist eines der großen Themen dieser Wahl. Vor allem die Jugend wendet sich den Rändern zu. Nicht der sprichwörtliche „alte, weiße Mann“ ist diesmal das Problem, sondern die junge, nicht-weise [sic!] Frau. Während über 60-Jährige nur zu 24 Prozent für AfD, Linke und BSW stimmten, waren bei den 18 bis unter 25-Jährigen Linkspartei und AfD die stärksten Parteien. Zusammen mit dem BSW erreichen Sie in dieser Altersgruppe 57 Prozent. Die oft als Feindbild betrachteten alten Männer auf dem Land gaben nur zu 23 Prozent Linkspartei und AfD ihre Stimme, jüngere Frauen in der Stadt dagegen zu 45 Prozent. Werden die 2020er-Jahre wie die 1920er-Jahre – eine Zeit ohne Maß und Mitte?

Wie funktioniert die Wahl zur Super-Mitte?

Ich sehe hier schon ganz viele Fragen. Was ist eigentlich „Mitte“? Ist „Mitte“ immer auch gut? Lassen sich AfD und Linkspartei vergleichen? Ist der linke Rand der Grünen überhaupt noch „Mitte“? Was ist mit anderen Parteien?

Aber RTL hat ja auch nicht wissenschaftlich definiert, was eigentlich ein Superstar ist, bevor man die Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ startete. Gehen wir vom Median-Wähler aus, sind weder Linkspartei noch AfD Mitte. Und Sahra Wagenknecht hat große Überschneidungen mit beiden, also auch keine Mitte. Und das ist mein Blog und ich bekomme kein Geld dafür, also gelten meine Regeln.

Schauen wir doch mal die Wahlergebnisse an. Dafür habe ich mir die offiziellen Daten der Bundeswahlleiterin besorgt und neben AfD, Linkspartei und BSW noch einige rechte und linke Splitterparteien mit berücksichtigt, die aber ohnehin keinen echten Einfluss auf das Ergebnis haben.

Bayern und Schleswig-Holstein vorne

Besonders hoch ist der Anteil der Wähler von AfD, Linkspartei und BSW in Thüringen. In allen ostdeutschen Bundesländern mit Ausnahme von Berlin liegt der Anteil der Ränder über 50 Prozent, in Thürigen aber erreicht er mit 63,2 Prozent einen Spitzenwert. Das liegt vor allem an der starken AfD, aber auch Linkspartei und BSW sind hier mit 15 und 9 Prozent überdurchschnittlich stark.

Auf der Gewinnerseite stehen Bayern und Schleswig-Holstein. Paradoxerweise sind also die geographischen Ränder die Super-Mitte. 72,2 Prozent haben in Bayern Parteien der Mitte gewählt, in Schleswig-Holstein sind es sogar 75,5 Prozent. Somit gewinnt Schleswig-Holstein die erste Runde bei den Bundesländern.

Bei den Wahlkreisen ähnliches Bild

Wenig erstaunlich liegen auch die Super-Mitte-Wahlkreise vor allem in diesen beiden Bundesländern. Die Nase vorne hat hier München-Land, wo 80,7 Prozent Parteien der Mitte gewählt haben. Nur 7,6 Prozent entfallen auf den linken, 11,7 auf den rechten Rand.

Ebenfalls wenig überraschend ist es, dass der Verlierer in Thüringen liegt. Im Wahlkreis Saalfeld-Rudolstadt – Saale-Holzland-Kreis – Saale-Orla-Kreis kommt die Mitte nur auf 33,6 Prozent, also fast genau ein Drittel. Allein die AfD ist stärker als alle Mitte-Parteien zusammen und erreicht nahezu 43 Prozent, die Linkspartei kommt fast auf ein Viertel der Stimmen.

Die zweite Runde: Wahlbeteiligung

Aber auch die Wahlbeteiligung sollten wir nicht vergessen. Ist Nicht-wählen schlimmer als AfD-wählen? Darüber könnte man jetzt lange Diskussionen führen. Es kommt sicher auf die Gründe an. Am gefährlichsten für die Demokratie sind in meinen Augen aber jene, die sich ganz von ihr verabschiedet haben, also bewusst nicht wählen, weil sie ohnehin überall nur Lug und Trug vermuten. In manchen linken Kreisen gelten schon Abgeordnete der Linkspartei als „Verräter“, weil sie sich mit „dem System“ gemein machen. Auf der Rechten gibt es sicherlich ähnliche Denkweisen.

Doch weil wir die Motivation der Nichtwähler nicht kennen – vielleicht wurden sie einfach kurzfristig krank – nehmen wir einfach gar keine Gewichtung vor.

Bayern siegt bei den Bundesländern

Die Wahlbeteiligung war insgesamt erfreulich hoch. Die höchste gab es mit 84,2 Prozent in Bayern. Es folgt – wenig überraschend – Schleswig-Holstein mit 83,1 Prozent. Offenbar gehen Menschen nicht besonders häufig zur Wahl, wenn sie unzufrieden sind und etwas ändern wollen, sondern wenn sie zufrieden sind.

Verlierer ist diesmal aber Thüringen, sondern Sachsen-Anhalt mit einer Wahlbeteiligung von 77,1 Prozent kurz nach dem westdeutschen Bremen mit 77,3 Prozent. Thüringen hat zwar radikal gewählt, aber es hat gewählt. Mit 80,1 Prozent auch häufiger als Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern und nur wenig seltener als Hamburg.

Schon wieder München-Land

Bei den Wahlkreisen liegt schon wieder München-Land vorne. Hier gingen 87,9 Prozent zur Wahl. Zweiter ist erstaunlicherweise kein Kreis aus Bayern oder Schleswig-Holstein, sondern Köln II, auf Platz 3 folgt mit Starnberg-Landsberg am Lech wieder ein bayerischer Landkreis.

Obwohl es ein Landkreis aus NRW in die Top3 geschafft hat, ist das Bundesland auch am Schluss gut vertreten. Besonders niedrig ist die Wahlbeteiligung in Duisburg II mit 72,9 Prozent. Nur wenig höher ist sie in Bremen II – Bremerhaven mit 73,3 Prozent und – schon wieder NRW – in Gelsenkirchen mit 74,0 Prozent.

Möglicherweise spielt hier der hohe Anteil von Eingebürgerten eine Rolle. Gut denkbar, dass diese zwar schon einen deutschen Pass haben, aber sich in den deutschen Parteien nicht wiederfinden oder generell einen weniger starken Bezug zur deutschen Demokratie haben. Das wäre zu untersuchen, ich kann ohne Daten nur spekulieren.

Bayern ist die Super-Mitte!

Bei den Wahlkreisen ist die Sache eindeutig, hier liegt München-Land in beiden Disziplinen vorne und ist damit unsere Super-Mitte. 70,9 Prozent der Menschen dort haben gewählt und haben eine Partei der Mitte gewählt.

Bei den Bundesländern ist es schwieriger, hier hat einen Wettbewerb Bayern und einen Schleswig-Holstein gewonnen. Doch unterm Strich haben in Bayern 60,8 Prozent der Wahlberechtigten eine Partei der Mitte gewählt, in Schleswig-Holstein nur 60,2 Prozent.

Einen Gesamtverlierer küre ich nicht, auch wenn in Thüringen nicht einmal 30 Prozent der Wahlberechtigten einer Partei der Mitte ihrere Stimme gegeben haben.

Wie ernst kann man das nehmen?

Klar, die Wahl der Super-Mitte wirft viele Fragen auf. Die meisten habe ich ja im Text bereits selbst genannt und auch darauf hingewiesen, dass das hier keine wissenschaftliche Arbeit ist. Auch Rezepte kann ich keine anbieten. Nur ein kleiner Tipp, liebe Unionsparteien und liebe FDP: Wer nicht auf Fragen von Stiftungen und Organisationen reagiert, während die Linkspartei das tut , verliert natürlich Wähler an diese. Das gilt auch, wenn zwar geantwortet wird, aber dort offen das Desinteresse an der Fragestellung bekundet und keine inhaltliche Antwort gegeben wird, liebe Grüne (nachzulesen hier).

By admin

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert