16 Prozent der Deutschen sind armutsgefährdet. Diese Zahl geistert aktuell durch die deutsche Presse. Sie bedeutet, dass ihr Nettoäquivalenzeinkommen weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens beträgt (eine Erklärung des Äquivalenzeinkommens findet sich hier, das Medianeinkommen ist der Wert, zu dem es genauso viel höhere wie niedrigere Einkommen gibt).
Nun wollen wir hier nicht das wiederholen, was jeder aus den klassischen Medien schon weiß. Statt dessen wollen wir uns zwei Themen ansehen, die dort meistens nicht auftauchen. Erstens die Entwicklung der Armut vor Sozialtransfers und zweitens die Kritik des Instituts der Deutschen Wirtschaft.
Denn die Statistiker betrachten zwei verschiedene Arten von Einkommen. Einmal das gesamte Geld, das ein Haushalt erhält und zweitens jenes, dass er nach Steuern aber vor Sozialtransfers erhalten würde. Gäbe es die staatliche Umverteilung nicht, wäre fast jeder vierte Deutsche armutsgefährdet. 24 Prozent würde die Armutsgefährungsquote dann betragen, bei den unter 18-Jährigen wäre sogar fast jeder Dritte (rund 31 Prozent) armutsgefährdet. Auch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersgruppen wäre deutlich größer. Während aktuell in allen Altersgruppen rund 16 (Erwachsene ohne über 65-Jährige) bis 15 Prozent (Senioren und Kinder) der Bevölkerung als armutsgefährdet gelten, wären ohne diese Transfers zwar nur 16 Prozent der Senioren, aber 25 Prozent der 18 bis unter 65-Jährigen und eben 31 Prozent der Kinder und Jugendlichen in diese Gruppe fallen. Dieser unterschiedliche Effekt liegt unter anderem daran, dass zu den Sozialtransfers nicht nur die Grundsicherungsleistungen zählen, sondern auch Kindergeld und Kinderzuschlag zählen, nicht aber staatliche Renten und Pensionen.
Armutsgefährdet ist man in Deutschland, wenn man als Alleinlebender ein Nettoeinkommen von weniger als rund 11.200 Euro im Jahr hat. Da Armut ja relativ definiert ist (die oben erwähnte 60-Prozent-Grenze), schwankt dieser Wert. 2005 war man als Alleinstehender noch mit einem Nettoeinkommen von rund 9.800. Daran entzündet sich auch die Kritik des Insituts der Deutschen Wirtschaft. Von 2006 auf 2007 stieg die Einkommensgrenze um 13,5 Prozent (wobei im Erhebungsjahr jeweils das Einkommen des Vorjahres verwendet wird, die Erhebung von 2007 fragt also nach dem Einkommen von 2006).
Nun ist diese Forschungseinrichtung wie der Name schon sagt nicht unabhängig, sondern wird überwiegend von den Unternehmern finanziert. Das bedeutet nicht, dass dort – ebenso wie in den gewerkschaftlichen Instituten – nicht hin und wieder interessante Ergebnisse erzielt werden. Wenn die Kölner aber schreiben, einen Einkommensschub von 13,5 Prozent habe es nicht gegeben, greifen sie zu kurz.
Zugegeben, 13,5 Prozent sind ziemlich viel. Möglich, dass hier auch statistische Unsicherheiten eine Rolle spielen. Betrachtet man die Enwicklung seit 2005 (damals lag die Armutsgefährdungsquote bei rund 12 Prozent), muss man aber auch erwähnen, dass die Grenze zur Armutsgefährund von 2005 auf 2006 um 4,5 Prozent zurück ging. Von 2005 bis 2009 stieg die Grenze jährlich um etwa 3,2 Prozent. Das ist viel, wenn man die Einkommensentwicklung betrachtet. So einfach wegwischen wie es das Insitut der Deutschen Wirtschaft tut, kann man das Ergebnis aber trotzdem nicht.
Denn anders als in einer Presseinfo dargestellt, wird nicht das Durchschnittseinkommen betrachtet, sondern der Median des Nettoäquivalenzeinkommens. Das bedeutet, dass auch die Veränderung der Sozialstruktur auf das Medianeinkommen wirkt. Mehr Singles und Alleinerziehende senken es, weniger Kinder erhöhen es.
Stärker dürfte aber ein anderer Faktor wirken. Wer die Presseinfo des Instituts liest mag sich denken „Ja, um 13,5 Prozent wurden die Einkommen tatsächlich nicht erhöht“. Allerdings wirken sich nicht nur Lohnerhöhungen aus, sondern auch die Steigerung der Erwersbtätigkeit. Es ist unredlich, einerseits den Rückgang der Arbeitslosigkeit zu feiern und andererseits diesen Faktor hier unerwähnt zu lassen.
Unten stehende Armutsgefährungsgrenzen geben an, ab welchem Nettoeinkommen eine Familie oder eine Einzelperson in welchem Jahr als armutsgefährdet galt. Dabei zählt die erste Person mit 1,0, jeder weitere mindestens 14-Jährige 0,5 und Kinder unter 14 mit 0,3. Eine Familie mit vier Kindern, darunter einem mindestens 14-Jährigen erhielt also den Faktor 1,0+0,5 (Erwachsene) + 3*0,3 (unter 14-Jährige) +0,5 (Jugendlicher), also 2,9. Die Armutsgefährungsgrenze liegt also um das 2,9-Fache über der eines Singles.
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[…] ist ein großes Thema, spätestens seit die Armutsquoten in der ersten Hälfte der Nuller-Jahre auf eine neue Rekordhöhe seit den 1970er Jahren gestiegen […]