Aktuell erleben wir zwei unterschiedliche Entwicklungen. Einerseits suchen viele Betriebe händeringend Personal, weil nach zwei Jahren Corona die Wirtschaft wieder Schwung aufnehmen soll. Anderseits drücken der Krieg der Ukraine und die Inflation die Erwartungen, was zu steigender Arbeitslosigkeit führen sollte.
Nun wird zu Arbeitslosigkeit viel gesagt und ich möchte nicht den tausendsten Beitrag dazu verfassen. Stattdessen möchte ich etwas tiefer in die Daten einsteigen. Über die Unterschiede zwischen Arbeitslosigkeit nach dem SGB III und Unterbeschäftigung sowie zwischen Arbeits- und Erwerbslosigkeit habe ich bereits geschrieben, daher verweise ich zu diesen Bereichen nur auf die Beiträge
Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit: Unterbeschäftigung richtig berechnen und
Arbeitslosigkeit mal anders.
Zahlreiche offene Stellen
841.008 Stellen waren im Juni 2022 offen, so viele wie noch nie seit in diesem Jahrtausend. Dabei handelt es sich ausschließlich um Stellen für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, also keine 450-Euro-Jobs.
Weiter zurückreichende Daten gibt es nicht, weil die Erfassung der gemeldeten Stellen in den Nullerjahren geändert wurde. Sie wurde damals auf im Computersystem erfasste Stellen begrenzt. Die Berechnung geschah rückwirkend bis zum Dezember 1999.
Die Arbeitsmarktlage ist also, trotz Krieg in der Ukraine, aus Sicht der Bewerbenden so gut wie lange nicht mehr.
Dass die Firmen aber nicht mehr so begeistert einstellen, zeigt ein Blick auf die Zahl der neu gemeldeten Stellen. Betrachtet man nur die im jeweiligen Monat neu gemeldeten Stellen, sieht das Bild etwas anders aus. Die Zahl der Stellenzugänge lag im Juni und im Mai unter den Werten des Vorjahres.
Das liegt keineswegs daran, dass die Stellenzugänge 2021 so hoch gewesen wären. Mit 154.891 neu gemeldeten Stellen lag der Juni 2022, abgesehen vom Corona-Mai 2020, auch unter allen anderen Mai-Werten seit 2010.
2009 | 122.607 |
2010 | 166.836 |
2011 | 189.387 |
2012 | 155.966 |
2013 | 158.440 |
2014 | 162.038 |
2015 | 184.641 |
2016 | 184.788 |
2017 | 188.509 |
2018 | 186.167 |
2019 | 184.539 |
2020 | 112.517 |
2021 | 168.568 |
2022 | 154.891 |
Das bedeutet, die hohe Zahl an offenen Stellen liegt nicht zuletzt daran, dass es länger dauert, bis offene Stellen besetzt oder Stellen gleich gar nicht besetzt werden. Denkbar sind natürlich auch Änderungen bei der Erfassung. Vielleicht dauert es länger, bis Stellen, die nicht über die Agentur für Arbeit, sondern über andere Quellen besetzt wurden, bei den Ämtern auch abgemeldet werden.
Durchschnittlich war eine im Juni 2022 abgemeldete Stelle 131 Tage offen, ein Jahr zuvor waren es nur 114 Tage gewesen. Der Abgang einer Stelle aus dem Stellenpool bedeutet übrigens nicht unbedingt, dass sie besetzt wurde.
Wer ist arbeitslos?
Der typische Arbeitslose ist nicht etwa der sprichwörtliche alte, weiße Mann, sondern der alte, ausländische Mann. Denn
- Männer,
- Geringqualifizierte,
- Ausländer und
- Ältere
sind besonders häufig arbeitslos. Wichtigstes Kriterium ist dabei die Qualifikation. Die qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit für Akademiker beträgt nur 2,6 Prozent, das ist praktisch Vollbeschäftigung. Denn ein großer Teil dieser 2,6 Prozent ist nur kurzfristig zwischen zwei Stellen arbeitslos. Bei Menschen ohne Berufsausbildung beträgt die Arbeitslosenquote dagegen stolze 20,0 Prozent.
Das ist auch mit ein Grund, warum so viele Ausländer arbeitslos sind, sie sind oft geringer qualifiziert, zumindest wenn wir unter qualifiziert jene Kenntnisse verstehen, die man auf dem deutschen Arbeitsmarkt benötigt. Daher liegt ihre Arbeitslosenquote bei 15,3 Prozent, die der Deutschen nur bei 5,2 Prozent.
Zudem gibt es Vorbehalte in den Personalabteilungen, vor allem gegen Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten, wie wird im Beitrag Lieber Julia als Yusuf: Wie Namen und Herkunft die Chance auf eine Stelle beeinflussen gesehen haben. Sie werden bei der Einstellung bei gleicher Qualifikation benachteiligt, ebenso wie Männer, was deren höhere Arbeitslosigkeit zumindest teilweise erklärt. Hinzu kommen dürfte bei letzten auch, dass sie öfter in Branchen arbeiten, die rationalisiert haben und sich seltener bei Arbeitslosigkeit vom Arbeitsmarkt zurückziehen. Ihre Arbeitslosenquote liegt deshalb bei 6,4 Prozent, die der Frauen nur bei 5,8 Prozent.
Hinzu kommen regionale Unterschiede, für Frauen liegt die Arbeitslosigkeit im Kreis mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit bei 1,3 Prozent, in dem mit der höchsten bei 14,6 Prozent. Für Männer schwankt die Quote zwischen 1,4 Prozent und 15,1 Prozent.
Was bedeutet das?
Wir sehen also, dass die Zahl der neu gemeldeten Stellen schon jetzt sinkt, die Zahl der offenen Stellen aber noch steigt. Es könnte sein, dass wir eine ganze Zeit lang erleben, dass Stellen wegfallen und dennoch Arbeitgeber über Personalmangel klagen. Zumal Arbeitslose und Arbeitsplätze von der Qualifikation oder dem Ort oft nicht zusammenpassen.
Der Beitrag trifft den Nagel auf den Kopf. Die Arbeitslosigkeit war schon immer ein qualitativer Aspekt. Dies wagt aber bis heute kein Politiker offen auszusprechen. Es gibt und gab auch immer diesen unvermittelbaren Bodensatz. Da helfen auch Schulungsmaßnahmen kaum. Man muß auch in der Lage sein, Stoff aufzunehmen.