Bald ist wieder Ende des Ausbildungsjahres. Und es braucht wenig Phantasie um sich vorzustellen, was dann passieren wird. Die Regierung wird mit der geringen Zahl unversorgter Bewerber protzen, Gewerkschaften und Opposition werden behaupten, die Lage auf dem Ausbildungsmarkt sei katastrophal, die Ausbildungssuchenden würden nur in Maßnahmen versteckt. Und wer hat recht? Keiner.
Die alleinige Betrachtung der unversorgten Bewerber greift zu kurz, denn sie berücksichtig nicht, dass eine Reihe von Jugendlichen nur – im Vergleich zu einer Ausbildung – suboptimale Alternativen haben. Das kann eine Maßnahme sein, ein freiwilliges soziales Jahr oder ein Schulbesuch. Falsch ist aber auch, dass diese Bewerber versteckt würden. Vielmehr gibt es eine sehr detaillierte und interessante Statistik zum Bewerberverbleib.
Danach haben sich seit Beginn des Berufsausbildungsjahres 534.605 Bewerber gemeldet. „Seit Beginn des Berufsausbildungsjahres“ deshalb, weil die Statistik jeden aufführt, der einmal Oktober vergangenen Jahres gemeldet war. Das ist sinnvoll, weil fast alle Ausbildungen zum gleichen Zeitpunkt starten. Dann schaut man, wo die Bewerber geblieben sind. Das Hamburger Magazin Stern „deckte“ vor einem Jahr auf, dass nur am Ende des Ausbildungsjahres fast alle Bewerber einen Ausbildungsplatz oder eine Alternative hätten. Diese „Entdeckung“ ist ungefähr so schlau wie die „Enthüllung“, der SC Freiburg reklamiere den Sieg über den 1. FC Nürnberg völlig zu unrecht, weil er schließlich nur am Ende 2:1 geführt habe – bis zur 40. Minute führte der „Glubb“. Aber der Stern hat ja auch schon die Hitler-Tagebücher „entdeckt“.
Ende August hatten von den rund 534.605 Bewerbern 222.128 einen Ausbildungsplatz gefunden, also weniger als die Hälfte. 97.361 Bewerber sind aktuell noch unversorgt, 63.913 haben nach aktuellem Stand am 30.9. eine Alternative. Das ist für 25.409 der Schulbesuch oder ein Praktikum, für 15.939 eine Maßnahme und für 2.237 eine freiwilliges soziales Jahr oder ähnliches. 7.817 fangen an zu arbeiten und rund ein Fünftel (12.511) hat als Alternative zur Ausbildung eine Ausbildung oder Arbeit gefunden. Wie kann das sein?
Ganz einfach, als „einmündender Bewerber“ gilt nur, wer eine Ausbildung beginnt. Wer schon in einer Ausbildung steht und diese fortsetzt nicht. Natürlich werden Lehrlinge, die schon in einer Ausbildung stehen, nur dann erfasst, wenn sie einen anderen Ausbildungsplatz suchen. So kommt es, dass es nur 222.128 „Einmündende Bewerber“ gibt, aber 263.797 Bewerber nach aktuellem Stand am 30.9. in einer Ausbildung sein werden.
Wer jetzt 222.128 + 97.361 + 63.913 rechnet wird feststellen, dass da noch satte 151.203 Bewerber fehlen. Das sind die „sonstigen ehemaligen Bewerbern“. Sonstige, weil ja auch die „einmündenden Bewerber“ keine Bewerber mehr sind. Die haben ja schon, was sie wollen. Diese vierte Gruppe hat noch keinen Ausbildungsplatz, sucht aber auch keinen mehr.
Diese Restgruppe ist für jeden Statistiker die ärgerlichste. Zum einen weiß niemand, warum die „sonstigen“ nicht mehr suchen. Arbeitgeberverbände würden sagen: „Die haben was besseres“. Gewerkschaften würden behaupten, diese jungen Menschen wären einfach entmutigt und hätten aufgegeben. Zum anderen weiß man von 50 Prozent nicht, wo sie bleiben. Möglicherweise sind darunter viele, die einen Ausbildungsplatz gefunden haben und sich deshalb nicht mehr bei der Agentur für Arbeit melden. Bloß: Man weiß nicht wie viele.
Von denen, deren Verbleib man kennt gehen fast 50 Prozent zur Schule, fünf Prozent studieren sogar. Rund zehn Prozent setzen eine Ausbildung fort und rund 20 Prozent gehen arbeiten.
Aktuell suchen also noch 161.274 Bewerber (unversorgte Bewerber und Bewerber mit Alternative) einen Ausbildungsplatz. Dem stehen 70.278 Ausbildungsplätze gegenüber. Rein rechnerisch könnte man also noch 43,6 Prozent der Suchenden mit einem Ausbildungsplatz beglücken. Aber nur rein rechnerisch.
Was sagt uns das nun über die Situation auf dem Ausbildungsmarkt? Fast nichts. Denn alles was an den Agenturen für Arbeit vorbei geht, bleibt im Dunkeln. Das wäre nicht so schlimm, wenn die Auswahl der Bewerber, die über die Agentur suchen, zufällig wäre und deren Anteil immer gleich hoch blieb. Aber so ist es vermutlich nicht. In schlechten Zeiten suchen relativ mehr Jugendliche über die Agenturen für Arbeit, dafür melden die Arbeitgeber in wirtschaftlich guten Zeiten eher Stellen. Die Konjunkturschwankungen werden also überschätzt. Außerdem ist davon auszugehen, dass viele Bewerber erst einmal auf eigene Faust suchen. Wer einen Ausbildungsplatz findet, meldet sich erst gar nicht. Ganz uninteressant ist die Statistik nicht. Aber man muss sie so lesen wie die Geschäftsstatistik von – sagen wir Norma. Daraus alleine lassen sich über die Lage des deutschen Einzelhandels bestenfalls vorsichtige Thesen ableiten. Was Gewerkschaften und Arbeitgeber, Regierung und Opposition vermutlich nicht davon abhalten wird, sich in wenigen Wochen auf Basis dieser Daten gegenseitig zu beschimpfen.