Die Verschuldung in Deutschland soll kräftig steigen. Kein Problem, mit 62,9 Prozent lag der deutsche Schuldenstand 2023 nur leicht über der im Maastricht-Vertrag vorgesehenen Obergrenze von 60 Prozent und deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 80,8 Prozent1
Dem widerspricht aber Deutschlands bekanntester Staatsschuldenforscher Bernd Raffelhüschen. Statt von 1,5 Billionen Schulden geht er von 17 Billionen aus. Was ist da dran?
Vom Problem mit versteckten Kosten und Schulden
Nicht alle Kosten sind sofort ersichtlich. Wir erleben das aktuell auch in der Debatte um die beste Energieversorgung. Energie aus Wind und Sonne ist sehr günstig, wenn man die Kosten für ein Windrad oder eine PV-Anlage auf den produzierten Strom umrechnet. Leider ist es nicht ganz so einfach. Weil der Strom aber nicht dann produziert werden kann, wenn er gerade vorhanden ist, müssen die Netze ausgebaut und Notfalllösungen gebaut werden, letztere in Form von Dutzenden Gaskraftwerken.
Noch schwieriger ist es bei der Kernkraft. Hier lassen sich schon die Neubaukosten kaum schätzen, weil die letzten Projekte viel teurer wurden als geplant. Optimisten hoffen aber auf fallende Kosten, wenn wieder mehr gebaut wird. Zuverlässig kalkulieren lässt sich das nicht. Und dann sind da noch die Endlagerkosten. Wer Atomkraft befürwortet, setzt sie niedrig an, Gegner stellen dagegen gigantische Kosten dafür in Rechnung.
Versteckte Kosten sind deshalb immer auch anfällig für Manipulation. Beim Strom lässt sich mit den richtigen Annahmen fast jedes Ergebnis herbeirechnen. Und da sprechen wir noch gar nicht von Umwelt-Folgekosten. Da sind nicht nur die Klimaeinflüsse, auch für Naturzerstörung können wir fast beliebige Kosten annehmen.
Ein anderes Beispiel für Manipulationen mit „versteckten“ Zahlen ist die Arbeitslosenstatistik. Es ist zweifellos richtig, auch Erwerbslose in Weiterbildungsmaßnahmen zu berücksichtigen. Doch teilweise wird einfach jeder, der nicht Arbeitslosengeld 2 bezieht, zu den versteckten Arbeitslosen gezählt, was auch Blödsinn ist.
Zurück zu den Schulden
Ähnlich manipulierbar sind auch die versteckten Schulden. Man sollte also vorsichtig sein, was da alles einberechnet wird. Aber auf ein paar Dinge kann man sich sicher einigen:
- Rentenversprechen sind zweifellos versteckte Schulden.
- Das Gleiche gilt auch für Pensionsansprüche.
- Auch Pflege- und Gesundheitsausgaben sind teilweise in der Zukunft schon festgelegt.
- Daneben können langfristige Zusagen wie Schulden wirken.
Um Manipulationen zu vermeiden, bietet es sich an, sich an den Regeln von Privatunternehmen zu orientieren. Künftige Kosten für die Reparatur von bereits bestehenden Straßen oder Schulen sind keine versteckten Schulden, das ist normaler Vorsorgeaufwand. Auch internationale Verpflichtungen, etwa einen bestimmten Anteil des Budgets für Klimaschutz oder Verteidigung zu investieren, sind keine Schulden.
Rentenversprechen sind Schulden
Anders sieht es mit den Renten- und Pensionsversprechen sowie den Pflege- und Gesundheitsausgaben aus. Private Unternehmen oder Versicherungen müssen diese – zurecht – als Verbindlichkeiten verbuchen und dafür Rückstellungen bilden. Und hätte Adenauer die Rentenversicherung nicht 1957 von der Kapitaldeckung (zumindest teilweise) auf ein Umlageverfahren umgestellt („Kinder bekommen die Leute immer“), hätte die Rentenversicherung heute Billionenguthaben.
Auch für die Kranken- und Pflegeversicherung müssen private Anbieter Altersrückstellungen bilden. Denn alte Menschen kosten mehr und zahlen weniger oder gar nichts ein.
Milliardenschulden nur durch Pensionen
Schon die Beamtenpensionen sorgen dafür, dass sich in allen westdeutschen Bundesländern die Verschuldung mehr als verdoppeln würde, berechnet man diese Last mit ein. Bayern hat mit einem Anteil von 6,4 Prozent am BIP im Jahr 2019 die niedrigsten Schulden. Doch rechnet man die Pensionsverpflichtungen hinzu, steigt diese um 51,0 Prozent (!) auf 57,4 Prozent des BIP. Bayern überholt damit alle ostdeutschen Länder und den Bund, in den anderen westdeutschen Ländern sieht es noch schlimmer aus. Berlin hatte 2019 neben 65,3 Prozent verbriefter Staatsschuld (also den „normalen“ Schulden) noch 76,6 Prozent aus Pensionslasten, also 141,9 Prozent.2
Bereits für 2019 kam der Wissenschaftler zu dieser Berechnung:
Offizielle Staatsschulden: 59 %
Pensionsverpflichtungen: 45 % (Mittelwert aus der Schätzung von 30 bis 60 %)
Rentenverpflichtungen: 200 %
Gesamt: 304 %
Darin sind die fehlenden Altersrückstellungen der Kranken- und Pflegeversicherung ebenso wenig enthalten wie die neuesten Wahlgeschenke an die Rentnergeneration. Neuere Schätzungen gehen sogar von über 17 Billionen Schulden und einer Schuldenquote von fast 450 Prozent aus – noch ohne die neu geplanten Schulden.
Ist Deutschland schon pleite?
Fairerweise muss man sagen, dass die deutsche Rentenversicherung auch ständig für neue Einnahmen sorgt. Berechnet man die versteckten Schulden ein, müsste man auch die Schuldentragfähigkeit anders berechnen. Man könnte argumentieren, dass die Rentenzahlungen der künftigen Generation auch so etwas wie versteckte Guthaben sind.
Deshalb ist die Frage nicht ganz so einfach zu beantworten, ob Deutschland schon überschuldet ist. Allerdings werden die Einnahmen in der Zukunft wegen der geringeren Zahl junger Menschen eher sinken, die Ausgaben dagegen steigen. Migration sollte Abhilfe schaffen, scheint aktuell aber noch mehr zu kosten als zu bringen. Denn hoch qualifizierte Arbeitnehmer wollen oft nicht nach Deutschland, da die Steuer- und Abgabenlast hier besonders hoch ist.
Teilweise wird auch argumentiert, dass die Eurozone ohnehin mittelfristig bankrott ist und Deutschland der Dumme wäre, würde es nicht beim Geldausgeben mitmachen. Aber das sind Fragen, die an anderer Stelle diskutiert werden sollen.
Footnotes
- Staatsverschuldung, Schuldenstand, Öffentliches Defizit/Überschuss 2023 – Statistisches Bundesamt
- Vortrag von Prof. Bernd Raffelhüschen im Rahmen der Kongressreihe „Soziale Marktwirtschaft: Wohin treibt
Deutschland?“ am 14. November 2019 Im Hotel Bayerischer Hof, München