Ich habe lange überlegt, ob ich das heutige Thema wirklich bringen soll, denn es spricht zwei Themenkreise an, die ich bereits mehrfach angesprochen habe. Einmal das Thema Corona (ja, immer noch) und außerdem die Übersterblichkeit von Männern – und das gesellschaftliche Desinteresse daran. Allerdings will ich ja nicht nur unterhalten, sondern auch informieren.
Immer wieder wird deutlich, dass Männer von Covid-19 stärker betroffen sind als Frauen. Doch in den etablierten Medien findet man dazu fast nichts. Die FAZ brachte vor wenigen Tagen einen großen Bericht über Corona, ohne die Übersterblichkeit von Männern überhaupt zu erwähnen. Sorgen macht man sich ausschließlich über die Auswirkung auf die Frauen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schlüsselt das Geschlecht in seinem Dashboard ebenfalls nicht auf, das Statistische Bundesamt in seiner Tabelle zur Analyse der Übersterblichkeit ebenfalls nicht.
Immerhin tut es das RKI in seinem Lagebericht zu Covid-19. Aus dem Bericht vom 2. Juni geht hervor, dass 55 Prozent der Todesopfer Männer sind. Und das, obwohl die Mehrzahl der alten Menschen Frauen sind – und diese Altersgruppen besonders betroffen sind. Die unterschiedliche Altersstruktur verdeckt die Übersterblichkeit von Männern, sie wird deutlich, wenn man einzelne Altersgruppen vergleicht.
Den Daten zufolge sterben in der Altersgruppe der 50 bis unter 60-Jährigen und der 60 bis unter 70-Jährigen rund drei Mal so viele Männer wie Frauen. Bei den 70 bis unter 80-Jährigen sind es immer noch doppelt so viele, obwohl es schon in dieser Altersgruppe deutlich mehr Frauen gibt.
Warum ist es um das Thema so still? Annalena Baerbock würde vermutlich antworten, dass das ein rein biologischer Unterschied sei. Zumindest hatte ich sie vorher schon mal nach ihren Vorstellungen zum Thema Gender Life Expactancy Gap gefragt und damals als Antwort bekommen, der Unterschied interessiere sie nicht, weil er teilweise Folge einer biologischen Überlegenheit von Frauen und teilweise von den Männern selbst verschuldet sei.
Ein erstaunliches Argument für eine Partei, die sonst oft behauptet, es gäbe keine biologischen Geschlechterdifferenzen und Verhaltensunterschiede seien überwiegend anerzogen. Die Behauptung, alle Geschlechtsunterschiede seine Folge von Diskriminierung, wenn sie Frauen benachteiligen, aber „biologisch“, wenn sie Männer betreffen, ist sin keiner Weise empirisch fundiert und schlicht unredlich. Zumal Biologie und Gesellschaft stark interagieren, wie die moderne Forschung zeigt. Noch erstaunlicher ist die Antwort aber für eine Partei, die sich selbst als links bezeichnet. Links ist eine solches Primat des Biologischen nicht.
Außerdem ist die Antwort schlicht falsch. Nicht nur, weil der Staat den größten Teil seiner Sozialausgaben für alte Menschen bereitstellt und das Thema schon deshalb nicht ausschließlich „biologisch“ ist. Schätzungen zufolge geben die Krankenkassen für eine Frau im Laufe ihres Lebens ein Drittel mehr aus als für einen im gleichen Jahr geborenen Mann. Genaue Daten gibt es nicht. Außerdem räumen die Ärzte ein, dass selbst noch nicht genau wissen, woran die höhere Übersterblichkeit liegt. „Letztlich muss man den Dingen wirklich sehr tief auf den Grund gehen, um sie plausibel und gut wissenschaftlich erklären zu können“, so die Einschätzung von Ärzten des Krankenhauses in Stuttgart (Danke an den FAZ-Journalisten Rüdiger Soldt für diese Antwort auf eine Anfrage von mir).
Auffällig ist außerdem, dass die Unterschiede bei den unter 30-Jährigen geringer sind. Dort sterben zwar immer noch doppelt so viele Männer beziehungsweise Jungen wie Frauen und Mädchen, aber eben nicht drei Mal so viele. Das fällt auch bei der Betrachtung der Daten insgesamt auf, es sterben zwar etwas mehr Jungen als Mädchen, aber richtig groß wird der Unterschied erst in dem Moment, wenn die Pubertät beginnt. Das spricht dafür, dass in erster Linie soziale Faktoren den Unterschied erklären, ebenso die Ergebnisse der Klosterstudie, in der die Lebenserwartung von Mönchen und Nonnen verglichen wurde. Sie unterscheidet sich nur um ein Jahr (siehe dazu auch die Seite der Stiftung Männergesundheit).
Ich erinnere mich noch gut an einen Nebenjob im Eisenwerk als Schüler. Wenn ich Samstags sechs Stunden Gussrohre ausgeschliffen hatte, hatte ich mehrere Tage Eisenstaub in der Nase. Gearbeitet haben dort vor allem Männer, insbesondere ausländische Männer. Kein Wunder, dass beide Gruppen besonders betroffen sind.
So oder so, ob biologisch oder sozial, dass über das Thema kaum berichtet wird ist schlicht ein Skandal.
[…] in meinem Kommentar zum Beitrag Die Toten nach denen keiner fragt schon erwähnt, habe ich ein zweites Blogprojekt gestartet. Es heißt gesund.men, ist auch unter […]
[…] wollen wir das Thema Corona links liegen lassen. Nicht, weil es nichts dazu zu schreiben gäbe, sondern weil schon so viel […]
Ich plane unter der Adresse gesund.men übrigens aktuell eine Seite zum Thema Männergesundheit. Allerdings steht das Projekt noch in den Startlöchern.
Hallo Herr Fix,
ich bin kein Biologe, aber nach meinem Eindruck sind die meisten Geschlechterdifferenzen auf einen solchen Mix aus biologischen uns sozialen Faktoren zurückzuführen. Wobei sie teilweise auch schwer zu trennen sind, weil sich einzelne biologische Ursachen nur unter bestimmten sozialen Rahmenbedingungen äußern. Beispielsweise gibt es Hinweise darauf, dass Testosteron nicht per se aggressiv macht, sondern nur in Umfeldern, in denen Aggressivität zu Dominanz führt. Insofern ist die insbesondere von der Partei Bündnis90/Die Grünen vorgenommene Trennung in Biologie und Gesellschaft oftmals willkürlich.
Ich will nicht bestreiten, dass soziale Faktoren eine wesentliche Rolle spielen. (Beispielsweise sind, soweit mir bekannt ist, auch Raucher*innen stärker betroffen und da dürften die Männer auch überrepräsentiert sein.). Insbesondere scheinen mir auch Belastungen aus dem (früheren) Berufsleben relevant zu sein, wie sie sie angeführt haben.
Eine biologische Erklärung scheint es aber auch zu geben: ACE2. Spektrum schreibt dazu etwas.