Außer der Bundesregierung dürfte es wohl kaum jemanden überrascht haben, dass die Deutsche Rentenversicherung (DRV) trotz der aktuell wirtschaftlich guten Lage in Deutschland schon in vier Jahren eine „kritische Situation“ heranziehen sieht. Für die DRV waren die vergangenen Jahre nämlich ungewöhnlich kostengünstig, weil die Sterbezahlen relativ hoch lagen. Jetzt aber kommen die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter und die Rentengeschenke der Großen Koalition müssen auch noch finanziert werden.
Daniel Stelter: Deutsche haben mehr Schulden als Vermögen
In diesem Zusammenhang zitiert der Makroökonom Daniel Stelter in seinem Buch „Die Schulden im 21. Jahrhundert“ eine eindrucksvolle Zahl: Auf 413 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht sich die deutsche Staatsverschuldung nach einer Untersuchung von Jagadeesh Gokhale, wenn die versteckten Lasten für die künftige Renten- und Gesundheitsvorsorge mitberechnet werden. Denn wer jahrelang in die Rentenkasse eingezahlt hat, der hat damit einen Anspruch erworben. Ähnliches gilt für die Kranken und erst Recht die Pflegeversicherung, wo ältere Menschen kaum noch Beiträge zahlen (außer sie sind privat versichert), dafür aber besonders oft Leistungen in Anspruch nehmen. Anders als in der öffentlichen Diskussion teilweise dargestellt lässt sich die Rentenzahlung auch nicht beliebig weit kürzen.
Denn jede Generation hat einen Anspruch darauf, im Durchschnitt mindestens die eingezahlten Beiträge zu erhalten. Bei den heutigen Rentnergenerationen ist das kein Problem, sie erwirtschaften nach Berechnungen der DRV Bund teilweise eine Rendite von fast acht Prozent im Jahr (mehr dazu demnächst). Aber auch die heute jungen Arbeitnehmer haben einen Anspruch gegen die Rentenkasse erworben, der sogar noch steigt, wenn die Rentenbeiträge weiter erhöht werden. Die oft gehörte Sorge junger Menschen „Wir kriegen sowieso nichts mehr raus“ ist also nur zum Teil berechtigt. Zumindest müsste die Regierung sehr kreativ sein, um das wirklich umzusetzen, ganz abgesehen von der politischen Schwierigkeit, denn wenn die heute 20-Jährigen 60 sind, stellen die über 60-Jährigen vermutlich die Mehrheit der Wähler (heute sind es schon die über 50-Jährigen).
Insofern hat Daniel Stelter also Recht, wenn er den Blick auf das Thema versteckte Staatsschulden richtet. Allerdings verrechnet er sich an anderer Stelle etwas. Basierend auf den Daten des französischen Ökonomen Thomas Piketty zu privaten und öffentlichen Schulden sowie Vermögen und ergänzt um die Daten von Jagadeesh Gokhale kommt er zu dem Schluss, dass das Verhältnis von Schulden zu Vermögen statt bei 412 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wie bei Piketty in Wahrheit bei -1 Prozent liegt. Die Schulden übersteigen also das Vermögen (Seite 107).
Analyse vernachlässigt Bürger
Für den Staat ist das ohne Frage zutreffen, doch die von Daniel Stelter und Thomas Piketty zitierte Vermögens-/Einkommensquote berücksichtig auch private Vermögen. Ein Rentenversprechen ist aber nicht nur eine versteckte Schuld auf Seiten des Staates, sondern auch ein statistisch ebenfalls nur unzureichend erfasstes Guthaben auf Seiten der Bürger. Wer jetzt sagt, die Regierung werde dieses Guthaben ohnehin nie auszahlen, der darf auch die Verpflichtungen nicht mitrechnen. Zumal ich das, wie oben begründet, auch nicht glaube. Zwar sehe auch ich ein Missverhältnis zwischen den Generationen zuungunsten der jüngeren Menschen, dass sie gar keine Renten erhalten werden glaube ich aber, wie erwähnt nicht. Nur mit Renditen von um die acht Prozent pro Jahr dürfen sie wohl nicht mehr rechnen.
Natürlich liegt ein Teil der Ansprüche im Ausland, etwa bei Rentnern die im Ausland leben oder aber auch bei jungen Menschen, die in Deutschland einen Anspruch erworben haben, aber aktuell in einem anderen Land wohnen. Thomas Pikettys Schulden-/Einkommensquote von 412 Prozent dürfte für Deutschland also etwas niedriger liegen, wenn Verbindlichkeiten des Sozialstaates mitberechnet werden, vielleicht bei 410 Prozent, vielleicht auch darunter. Negativ wie bei Daniel Stelter wird sie aber nicht.