Im vergangenen Beitrag habe ich über die Sehnsucht der Deutschen nach konservativen Werten in der Erziehung geschrieben und dabei gemutmaßt, dass die Ergebnisse allerdings auch etwas überzeichnet sein könnten. Erziehungsziele wie Durchsetzungsvermögen und Lebensfreude könnten auch deshalb so selten genannt worden sein, weil sie gerade nicht in Mode sind. Mit diesem Beitrag möchte ich auch wieder ein bisschen Hintergrundwissen liefern.

Das bedeutet nicht, dass die von Opaschowski behauptete Tendenz zu konservativen Werten gar nicht existiert. Dass Befragte sich nicht trauen auf die Frage mit „Lebensfreude“ zu antworten zeigt ja schon, dass andere Werte aktuell hoch im Kurs stehen.

Natürlich könnte man jetzt mutmaßen, dass die Mehrheit sich einfach nicht laut genug äußert und deshalb der Eindruck entsteht, dass deren Werte nicht gefragt sind was wiederum dazu führt, dass sie in Befragungen seltener genannt werden und damit ihre Anhänger erst recht schweigen. Ich sehe aber keinen Grund, warum das hier der Fall sein sollte.

Möglich ist dagegen, dass die Ergebnisse etwas überzeichnet sind. Dass es solche Tendenzen gibt, zeigt ein Beispiel, das während meiner Studienzeit in einem Seminar zur empirischen Sozialforschung verwendet wurde. In einer Befragung wurden Menschen nach ihren Werten befragt und anschließend in Materialisten und Postmaterialisten eingeteilt. Erstere vertraten vor allem jene Einstellungen, die der Sozialforscher Horst Opaschowski in seiner Presseinformation als „Anpassungs-, Pflicht- und Akzeptanzwerte“ bezeichnet, also Fleiß, Benehmen und Gehorsam.

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In einer Studie wurden die Befragten aufgrund der von ihnen vertretenen Werte als Materialisten oder Postmaterialisten klassifiziert. Je älter die Befragten waren, desto niedriger war der Anteil derer, die postmaterielle Werte wie Selbstverwirklichung vertraten. Fast genauso groß war aber der Einfluss des Befragers. Nur 24 Prozent der unter 30-Jährigen, die von einem über 50-Jährigen befragt wurden, wurden später als Postmaterialisten eingruppiert, war der Interviewer ebenfalls unter 30 waren es 42 Prozent.

Leider lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren, aus welchem Jahr die Befragung ist, sie dürfte aber aus den 1970er oder frühen 1980er Jahren sein, vielleicht sogar aus den 1960er Jahren. Schon damals gab es deutliche Unterschiede zwischen jungen und älteren Befragten. Gegenüber einem 30 bis 50-Jährigen Befrager nannten 40 Prozent der unter 30-Jährigen vor allem Werte, aufgrund derer sie als Postmaterialisten bezeichnet wurden, aber nur elf Prozent der Älteren. Zur Erinnerung: Die unter 30-Jährigen dürften heute komplett oder zumindest fast komplett zur Altersgruppe der über 55-Jährigen gehören, also jener Gruppe, die nach Meinung der Sozialforscher Pflicht- und Akzeptanzwerte bevorzugt, während bei den Jüngeren „altmodische Werte“ wie Toleranz, Neugier und Lebensfreude noch eher eine Chance haben. Erste Erkenntnis: Der Unterschied zwischen Alt und Jung ist offenbar weniger eine Generationen- als vielmehr eine Altersfrage.

Vor allem aber zeigt die Befragung, wie sehr die Antworten auch vom Alter des Interviews abhängig sind. Bei einem etwa gleichaltrigen Befrager gaben nur fünf Prozent der über 50-Jährigen Antworten, auf Grund derer sie als Postmaterialisten klassifiziert wurden. Bei einem unter 30-Jährigen Befrager waren es schon elf Prozent. Den gleichen Effekt gab es in umgekehrte Richtung auch bei den jüngeren. Die Altersgruppe dazwischen passte sich eher den Älteren an, vermutlich weil sie in der sozialen Hierarchie meist höher stehen als unter 30-Jährige.

Hätten die Sozialforscher die unter 30-Jährigen nur durch über 50-Jährige, die beiden anderen Gruppen aber durch unter 30-Jährige befragen lassen, wäre ein überraschendes Ergebnis herausgekommen. Allerdings müssten das dann sehr schlechte Forscher sein.
Hätten die Sozialforscher die unter 30-Jährigen nur durch über 50-Jährige, die beiden anderen Gruppen aber durch unter 30-Jährige befragen lassen, wäre ein überraschendes Ergebnis herausgekommen. Allerdings müssten das dann sehr schlechte Forscher sein.

Das Beispiel zeigt, wie stark sich die Ausrichtung am sozial Erwünschten auf solche Befragungen auswirken kann. Die gute Nachricht ist, dass die meisten Forscher das wissen und nicht, wie in der Grafik oben, jüngere nur von Älteren befragen lassen und umgekehrt. Nur Leute aus der gleichen Altersgruppe zu nehmen wäre übrigens auch gefährlich, es würde den Unterschied überzeichnen.

One thought on “Der Einfluss des Befragers”

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