Endlich komme ich dazu, meine kurze Serie zum OECD-Bericht zur steigenden Einkommensungleichheit in Deutschland (ältere Berichte hier und hier sowie ein Kommentar zum Thema Minijobs hier) anzuschließen.

Gefragt hatte ich unter anderem, ob die Zunahme der Niedriglöhne vor allem darauf beruht, dass neue Jobs entstanden sind, die schlecht bezahlt sind, oder ob gut bezahlte Jobs verschwinden und schlecht bezahlte entstehen.

Ersteres würde bedeuten, dass der Zuwachs an Niedriglohnjobs die Einkommensungleichheit senkt, weil geringe Einkommen mehr sind als gar keine Einkommen. Die zweite Variante hieße, dass die Ungleichheit dadurch noch stärker steigt.

Entwicklung der Ungleichheit (Gini-Koeffizient) in ausgewählten Ländern. Quelle: OECD

Unbestritten ist, dass in Deutschland die Ungleichheit weiter gestiegen ist. Und das sogar schneller, als in anderen Ländern. Mittlerweile liegt das Land nur noch im OECD-Durchschnitt.

Aber welche Rolle spielen hier die Niedriglohnjobs? Dazu schreibt OECD-Ökonom Michael Förster

„Für die empirische Schätzung verwenden wir zwei alternative Extremannahmen : die Lohneinkünfte der Nichtbeschäfitgten werden mit Null (i) bwz.  mit einem „Reservierungslohn“ (=1/2 Medianlohn) (ii). Hier spielt nun der „Übergang“ von der Verteilung der Individuallöhne und –gehälter zur Haushaltseinkommensverteilung eine wichtige Rolle, wie Sie in Frage 1 und 3 aufwerfen.  Zunächst geht es darum, den Verteilungseffekt der Nicht-Beschäftigung zu schätzen, also eine individuelle „Gesamtlohnverteilung“ die auch die Nichtbeschäftigten miteinschließt, um den relativen Beitrag des „Beschäftigungs-“ und des „Lohnspreizungs“effekts zu schätzen. Wir verwenden dazu ein Modell von Atkinson/Brandolini (2006), beschrieben in Box 3.1, S. 146. Für die empirische Schätzung verwenden wir zwei alternative Extremannahmen : die Lohneinkünfte der Nichtbeschäfitgten werden mit Null bwz. mit einem „Reservierungslohn“ (=1/2 Medianlohn) imputiert. Unter Annahme i) kam es im OECD-Raum zu einer leichten Senkung der geschätzten „Gesamtlohnverteilung“, wobei der Beschäftigungseffekt ein wenig den Lohnspreizungseffekt überwiegt. Bei Annahme ii) ist es genau umgekehrt. Die Unterschiede sind aber so gering, dass es fair ist zu sagen, dass diese beiden Effekte einander aufgehoben haben.“

Betrachtet man statt Einzelpersonen Haushalte, kommen noch weitere Effekte hinzu, schreibt Michael Förster. Beispielsweise mehr Singles. Schließlich findet auch innerhalb von Familien Umverteilung statt. Zusätzlich gelingt es dem Steuer- und Transfersystem demnach immer weniger, für Umverteilung und sozialen Ausgleich zu sorgen.

Die OECD hat eine Reihe von Einzelfaktoren geschätzt. Das sind neben dem Einkommens- und Beschäftigungseffekt für Männer und Frauen noch die Haushaltsstruktur und sogar das Partnerwahlverhalten. Letzteres mag sich kurios anhören, aber auf Haushaltsebene senkt es die Ungleichheit, wenn eine reiche Frau einen armen Mann heiratet oder umgekehrt.

Von diesen Faktoren hat einzige und alleine die zunehmende Frauenbeschäftigung ein dämpfenden Einfluss auf die Ungleichheit.

One thought on “Deutschland wird ungleicher – darum (2)”
  1. leider sind mir keine aktuellen Zahlen bekannt, aber laut dem IAB hier, gab es doch eine Erosion der Arbeitsverhältnisse mit sv-Pflicht. Dies betrifft vor allem aber Personen die ungelernt sind oder mit Ausbildung, während ein Stellenaufbau von 2000 bis 2015 hier nur im Bereich höher Qualifizierter stattfand.

    ich hab dazu mehrere Thesen: entweder gibt es einen Strukturwandel, der höhere Qualifikationen erforderlich macht und in dem mittlere Qualifikationen abgebaut werden. Dazu passt die zunehmende Automatisierung auch von Dienstleistungen wie aktuell bei der Commerzbank mit Stellenabbau und Produktivitätszuwächse.

    2. könnte es sein, dass das Ausbildungssystem in vielen Bereichen über Bedarf ausbildet, also nicht gut auf den reellen Bedarf abgestimmt ist. Die Ausbildungen über Bedarf in vielen Sektoren, weil Azubis eben billiger sind als Festangestellte kann in manchen Branchen ein Grund dafür sein.

    3. wird Ausbildung immer mehr entwertet und wird dadurch in den Minijob- und Niedriglohnsektor durchgereicht. Immerhin haben 3/4 im Niedriglohnsektor eine Ausbildung. Denkbar wäre auch, dass DE zu viel im Niedriglohnsektor ausbildet, mehr als nötig.

    http://www.ihk-schleswig-holstein.de/linkableblob/738404/.3./data/Studie_IAB_2010_Auswirkungen_Arbeitsmarkt_SH-data.pdf;jsessionid=3F9608EAB964BEB2017F25C11535B7C8.repl2

    oder wohin verschwinden die SV-pflichtigen Arbeitsverhältnisse und warum? Das würde mich echt mal interessieren als Betroffener.

    In den Nachbarländern gibts Equal Pay, Mindestlöhne, Zahlung nach Tarif, keine Minijobs — vielleicht hat es damit was zu tun, dass DE schlechter organisiert und regiert wird

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