Sie suchen eine Wohnung? Bekanntermaßen haben es bestimmte Gruppen auf dem Wohnungsmarkt leichter als andere. Das gilt nicht nur für Vermieter, sondern auch für die Nachbarn.

Selbst junge Menschen haben oft Vorbehalte gegen bestimmte Nachbarn, wie die Shell Jugendstudie zeigt. Wäre der Statistiker-Blog ein Boulevardblatt, könnte die Schlagzeile lauten:

20 Prozent der Jugendlichen wollen nicht neben Geflüchteten wohnen

Wächst eine intolerante Generation heran?

Die Schlagzeile stimmt, unterschlägt aber, dass 15 Prozent sogar gerne neben einer Flüchtlingsfamilie wohnen würden, 64 Prozent sagen „Ist mir egal“. Neben der türkischen Familie ist das die einzige Gruppe, die von mehr Jugendlichen als Nachbarn abgelehnt als explizit begrüßt wird. Wobei auch hier nur eine Minderheit negativ eingestellt ist, der großen Mehrheit ist es, wie gesagt, egal.

Sagen alle Befragten die Wahrheit?

Nun kann man fragen, ob hier wirklich alle die Wahrheit sagen. Auffällig ist die jüdische Familie. Nur 14 Prozent fände es gut, neben ihr zu wohnen. Das ist – zusammen mit der türkischen Familie – der niedrigste Wert aller neun untersuchten Gruppen. Gleichzeitig lehnen aber auch nur 8 Prozent sie explizit ab, das ist ebenfalls der niedrigste Wert.

Eine mögliche Erklärung wäre, dass Juden und Türken als nichts Besonderes wahrgenommen werden. Deshalb sind die Reaktionen weniger extrem als bei der Flüchtingsfamilie, die im Vergleich zu diesen beiden von mehr Menschen abgelehnt, aber auch von mehr begrüßt wird.

Eine andere Erklärung wäre aber auch, dass viele Jugendliche nicht die Wahrheit sagen. Weil das Thema Juden in Deutschland besonders heikel ist, lügen hier besonders viele. Genau wissen wir das natürlich nicht.

Die Daten

Aber schauen wir uns doch die Daten mal an. Ich habe die Abbildung aus der Shell-Jugendstudie1 mal etwas ergänzt und die Differenz zwischen positiven und negativen Rückmeldungen berechnet.

NachbarnGut SchlechtDifferenz
Flüchtingsfamilie1520-5
Türkische Familie1418-4
Aussiedler (Russland)15141
Afrikanische Familie15114
Jüdische Familie1486
Kinderreiche deutsche Familie22139
Homosexuelles Paar19910
Rentnerpaar27918
Studenten-WG311219

Die Flüchtlingsfamilie und die türkische Familie sind die einzigen, die mehr negative als positive Nennungen erfahren. Besonders gut stehen erwartungsgemäß die Studenten-WG und das alte Rentnerpaar dar. Aber auch eine afrikanische Familie (wobei hier explizit dunkelhäutige Afrikaner abgefragt, keine Nordafrikaner oder Nachfahren weißer Siedler) wird von mehr Befragten begrüßt als abgelehnt. Den meisten ist es ohnehin egal, was in meinen Augen nicht von Desinteresse zeugt, sondern von Vernunft. Man sollte Menschen nicht in erster Linie nach solchen Faktoren bewerten.

Westen toleranter…

Mit Ausnahme des homosexuellen Paars und der Rentner ist die Ablehnung im Osten größer als im Westen. Das gilt auch für die deutsche Familie mit vielen Kindern, die von 22 Prozent der Jugendlichen im Osten, aber nur 12 Prozent der Jugendlichen im Westen als Nachbarn abgelehnt wird.

In Prozentpunkten gemessen ist der Unterschied bei der türkischen Familie besonders groß, sie wird von 27 Prozent im Osten und 16 Prozent im Westen nicht als Nachbarn gewünscht. Vielleicht, weil es im Osten weniger türkische Familien gibt. Andererseits ist die Differenz bei der kinderreichen Familie mit 22 zu 12 zwar einen Prozentpunkt geringer, aber relativ gesehen sogar größer. Relativ gesehen noch größer ist sie bei der Studenten-WG mit 19 zu 10 Prozent.

Allerdings hat die Shell-Jugendstudie auch Bereiche entdeckt, in denen der Osten die Nase vorn hat. Aus Gründen der regionalen Gerechtigkeit kündige ich schon mal an, eine davon demnächst vorzustellen, auch wenn wir uns dann schon wieder mit den Einstellungen junger Menschen beschäftigen.

…Minderheiten auch toleranter

Wie aber sieht es mit den Minderheiten selbst aus? Immerhin 18 Prozent der Jugendlichen mit einem Hintergrund in einem islamischen Land wollen nicht neben einem homosexuellen Paar leben, jeweils 14 Prozent nicht neben Juden oder Aussiedlern.

Insgesamt zeigen sich aber Menschen mit Migrationserfahrung nach der Studie toleranter. Das sich muslimische Jugendliche (oder sagen wir lieber Jugendliche mit Wurzeln in einem islamischen Land, denn wie religiös sie sind wissen wir nicht)
2 einer (oft ebenfalls muslimischen) Familie weniger kritische gegenüberstehen ist wenig erstaunlich. Allerdings lehnen sie auch eine deutsche Familie mit vielen Kindern oder eine Studenten-WG seltener ab. Selbst Aussiedler werden von ihnen weniger oft kritisch gesehen als von Deutschen ohne Migrationshintergrund.

Alles in allem zeigen sich die Jugendlichen erstaunlich tolerant. Wobei das natürlich auch der Art der Fragen liegen kann. Abgefragt wurde vor allem die Intoleranz gegenüber Bevölkerungsgruppen, denen viele ältere Menschen kritisch gegenüberstehen. Vielleicht sind die jungen Menschen einfach anderen Gruppen gegenüber intolerant. Das wissen wir nicht.

Footnotes

  1. Albert, Mathias, Hurrelmann, Klaus, Quenzel, Gudrun et al.: 18. Shell Jugendstudie – Jugend 2019, Weilheim 2019, Seiten 86ff
  2. Die Shell Jugendstudie sagt beispielsweise, dass deutlich mehr muslimischen Jugendlichen es für wichtiger halten, sich an die staatlichen Gesetze zu halten als an Gott zu glauben, auch wenn Gott eine größere Rolle spielt als bei Deutschen ohne Migrationshintergrund. Wohingegen aber Jugendliche und junge Erwachsene aus Osteuropa es fast genauso oft den Glauben an Gott für wichtig halten.

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