Ob man beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) noch Kinderüberraschung mag? Unter diesem Titel hat nämlich die Financial Times Deutschland schwere Vorwürfe gegen das Institut erhoben und ihm vorgeworfen, mit überhöhten Zahlen zur Kinderarmut Politik gemacht zu haben. Von einer peinlichen Datenpanne ist die Rede, nachdem die Kinderarmut wohl nur rund halb so hoch ist wie in älteren Publikationen des DIW dargestellt. Die Berliner machten zudem den Fehler, nicht offensiv auf die Korrektur hinzuweisen. Man habe darüber nachgedacht, so ein Forscher des DIW zur Wochenzeitung Die Zeit, sich aber dann dagegen entschieden. Doch der Journalistin Maike Rademaker fiel der deutliche Unterschied auf.  Nach den neuen Daten liegt die Zahl der Kinder, die in einem Haushalt leben dessen Nettoäquivalenzeinkommen weniger als 50 Prozent des Medians beträgt statt bei 16,3 nur bei 8,3 Prozent.

Bild: Thorsten Riess (cc)

Neben der FTD haben auch Die Zeit und weitere Zeitungen über den „Armuts-Irrtum“ (Zeit) berichtet. Im Statistiker-Blog will ich die ganze Diskussion noch mal zusammenfassen. Außerdem habe ich selbst noch mal beim DIW angefragt, was sich bei der Berechnung geändert hat und wie die Korrektur – grob zusammengefasst – funktioniert.

Die vom DIW zunächst veröffentlichten Zahlen hatten für Deutschland eine deutlich über dem OECD-Durchschnitt liegende Kinderarmut gezeigt. Dieses Ergebnis ging damals durch alle Zeitungen und versetzte die Politik in Alarmstimmung. Daraufhin erhöhte die Bundesregierung das Kindergeld. Vier Milliarden kostet das jedes Jahr. „Nicht unsere Schuld“, sagt das DIW. Man habe sich gegen die Erhöhung ausgesprochen und statt dessen zielgerichtetere Maßnahmen gefordert.

Das Grundproblem ist, dass immer weniger Haushalte bereit sind, an Befragungen wie dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) teilzunehmen. Das wäre nicht so schlimm, würden sich die Antwortverweigerer über alle Teilgruppen gleichmäßig verteilen. Doch leider sind es vor allem die Armen und die Reichen, die keine Auskunft geben wollen. Das verzerrt natürlich die Statistik.

Zwar füllten im Jahr 2005 „nur“ 5,4 Prozent der Befragten den Fragebogen nicht aus, doch dieses Verhalten beeinflusst auch die Aussagekraft der Daten, die von anderen Mitgliedern in dieser Familie erhoben wurden. Somit sind 11,5 Prozent der Befragten direkt (durch Antwortverweigerung) oder indirekt (durch Antwortverweigerung eines anderen Haushaltsbewohners) betroffen. Leider lässt sich noch nicht einmal sagen, wie die Antwortverweigerung die Ergebnisse beeinflusst. Da gibt es beispielsweise einen scheinbar einkommensschwachen Haushalt, in dem aber die Unterhaltszahlungen eines früheren Ehepartners fehlen. Der würde dann fälschlicherweise als arm eingestuft. Den gegenteiligen Effekt hätte es, wenn in einer Familie knapp oberhalb der Armutsschwelle ein Mitglied die Auskunft verweigert, das kaum Einkommen hat.

Untersuchungen zeigen, dass Frauen seltener die Antwort verweigern als Männer. Auch 25 bis 40-Jährige und über 66-Jährige sowie Hausbesitzer und Gebildete sind auskunftsfreudiger.

Wie das DIW mit dem Problem umgeht, berichte ich im nächsten Beitrag am kommenden Dienstag. Was in der Studie raus gekommen ist, werde ich dann am 31. Mai darstellen.

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