Gefühlte Statistiken sind in. Kaum eine Zeitung kommt noch ohne Tabellen und Grafiken aus, die nicht auf Daten, sondern dem Gefühl des Autors beruhen. Manche sind sogar wirklich witzig, wie ein Kreisdiagramm der Süddeutschen Zeitung das enthüllte, wovor wie uns am Freitag dem 13. am meisten fürchten. Nicht vor schwarzen Katzen, sondern vor Montag, dem 16. Keine Angst, ich will nicht von erhobenen auf gefühlte Daten umschwenken, zumal wirklich gute gefühlte Statistiken gar nicht so leicht zu erstellen sind. Aber in loser Reihenfolge will ich jeweils eine gefühlte einer echten Statistik gegenüberstellen.

Niedersachsen haben Landschaft

Die Niedersachsen wurden einst von einem Radiosender gefragt, was ihr Bundesland ausmache und die Antwort war: Landschaft. Nicht schön, nicht hässlich, eben einfach Landschaft. Auch in Bayern wird in jeder zweiten Stammtischrede der Charakter des Landes als Flächenstaat betont, auch wenn die seit den 1950er Jahren ununterbrochen regierende CSU jahrzehntelang ihre Politik auf die Großstadt München konzentrierte.

Das alles ist etwas erstaunlich wenn man bedenkt, dass Deutschland zu den dichter besiedelten Ländern der Welt gehört. 226 Menschen leben hierzulande auf einem Quadratkilometer im Durchschnitt. Das sind zwar weniger als in Bangladesch mit 1.020, aber mehr als in Russland mit 8, von denen die Mehrzahl auch noch im europäischen Teil wohnt, so dass es jenseits des Urals nicht nur eine Schneegarantie im Winter, sondern auch viel Platz gibt. Wobei Russland natürlich ein Extrembeispiel ist, nur rund ein Dutzend Staaten sind noch dünner besiedelt, darunter vor allem solche mit viel Wüste wie Libyen, Namibia oder Australien.

Platz in Branden- und Mecklenburg

Aber zurück zu Deutschland. Nicht in allen Bundesländern wird die These vom Flächenstaat genauso vehement betont. In Mecklenburg und Vorpommern ist man zu Recht davon überzeugt, in einem dünn besiedelten Land zu leben. Aber auch Bayern, Niedersachsen und mitunter sogar Baden-Württemberger betonen gern die „insgesamt ländliche Prägung“ ihrer Heimat.

Doppelt gefühlte Statistik: Gefühlte Ansichten der Bürger der deutschen Flächenländer zur gefühlten Besiedlungsdichte.
Doppelt gefühlte Statistik: Gefühlte Ansichten der Bürger der deutschen Flächenländer zur gefühlten Besiedlungsdichte.

Aber stimmt das denn so? Man kann seinen Zweifel haben, wenn man öfter mal in Bayern, Niedersachsen oder Baden-Württemberg unterwegs ist. Selbst in sogenannten ländlichen Regionen ist man kaum aus einem Dorf draußen und schon im nächsten Gewerbegebiet drinnen. Glücklicherweise gibt es zur Besiedlungsdichte Daten des Statistischen Bundesamtes. Überraschenderweise haben Niedersachsen und Bayern insofern nicht ganz Unrecht, als ihre Länder unterdurchschnittlich dicht besiedelt sind. Überhaupt sind von den Flächenstaaten nur Hessen, Baden-Württemberg, das Saarland und Nordrhein-Westfalen überdurchschnittlich dicht besiedelt. Schuld daran sind vor allem die Stadtstaaten Bremen (1.568 Einwohner je Quadratkilometer), Hamburg (2.312) und Berlin (3.838). Das Hamburg und Bremen deutlich dünner besiedelt sind als Berlin, liegt übrigens zu einem Teil am Hafen, der viel Platz weg nimmt und auf dem keiner wohnt. Mehr Grün gibt es deswegen also nicht automatisch.

Siedlungsdichte destatis
Tatsächliche Besiedlungsdichte der Flächenländer in Einwohner je Quadratkilometer. Gesamtdurchschnitt einschließlich der hier nicht aufgeführten Stadtstaaten.

Bayern und Niedersachsen sind also tatsächlich unterdurchschnittlich dicht besiedelt. Sensationell niedrig ist die Siedlungsdichte dort aber auch nicht. Ordnet man die Länder nach Dichte und setzt das am dünnsten bewohnte auf Platz ein (Mecklenburg-Vorpommern, 66 Einwohner je Quadratkilometer), dann landet Bayern mit 179 Einwohnern je Quadratkilometer auf Platz sieben, Niedersachsen schafft es immerhin auf Platz fünf.

Entvölkerter Osten

Ganz vorne liegen vier Ost-Bundesländer, nur Sachsen fällt mit 220 Einwohnern je Quadratkilometern aus der Reihe. Brandenburg hat trotz der Stadtflüchtigen aus Berlin mit 83 Einwohnern je Quadratkilometern die zweitniedrigste Siedlungsdichte nach Mecklenburg-Vorpommern, wobei in den Ferienzeiten sich in Mecklenburg sogar mehr Menschen aufhalten dürften, denn die Statistik erfasst natürlich die tausenden Touristen nicht.

Bromachsee
Auch in Bayern findet man manchmal noch Natur, allerdings nicht so viele, wie die Bayern denken. Oder sie ist, wie hier der Brombachsee, zwar idyllisch, aber von Menschenhand geschaffen.

Das hat teilweise Tradition, einige Gebiete Ostdeutschlands waren schon vor dem Krieg dünn besiedelt. Bei anderen ist vor allem die Abwanderung schuld, die nicht erst 1990 einsetzte, sondern teilweise auch schon vor dem Mauerbau stattfand.

Überraschen dürfte viele die geringe Einwohnerzahl je Quadratkilometer in Sachsen-Anhalt, immerhin ein traditioneller Industriestandort. Aber viele Arbeitsplätze sind dort verloren gegangen und zu dem Land gehören auch schon immer dünn besiedelte Gegenden wie der Harz. Ortsnamen wie Elend und Sorge lassen vermuten, dass man hier auch früher nicht mit üppigem Reichtum gesegnet war.

Werden die Bayern benachteiligt?

Selbst die chinesische Millionenstadt Hulun Bir ist deutlich dünner besiedelt als Bayern. Das liegt allerdings auch daran, dass man in der Volksrepublik China den Begriff Stadt sehr großzügig für Gebiete verwendet, die man hier als Bundesland oder Regierungsbezirk bezeichnen würde. Hulun Bir ist, wie schon berichtet, etwa so groß wie die alte Bundesrepublik.

Ist die Statistik aber womöglich ungerecht zu den Bayern, weil der Moloch München alles verzerrt? Denn die bayerische Landeshauptstadt ist mit 4.531 Einwohner je Quadratkilometer sogar dichter besiedelt als Berlin und den Landkreis München bewohnen mit fast 500 Menschen auf den Quadratkilometer gerechnet mehr Menschen als die Stadt Frankfurt. Zugegeben, hier geht es um die Stadt Frankfurt an der Oder, aber auch in den Städten Salzgitter, Emden oder Eisenach wohnt es sich weniger eng als im „Land“kreis München. Und mit Nürnberg ist unter den zehn am dichtesten besiedelten Stadt- und Landkreisen noch ein zweiter bayerischer Kandidat, Regensburg, Augsburg und Fürth sind immerhin enger bewohnt als Bremen.

Aber wer so argumentiert, der muss sich sagen lassen, dass zu Bayern eben auch München dazugehört. Rechnet man Bayern ohne München, dann könnte man den Bundesschnitt genauso gut ohne Berlin, Hamburg oder Frankfurt (hier am Main mit 2.824 Einwohnern je Quadratkilometer) rechnen. Außerdem hilft es den Bayern auch nicht, die zehn am dünnsten Landkreise zu betrachten. Die liegen fast ausschließlich im Osten, ganz vorne liegt Prignitz in Brandenburg mit 36 Einwohnern je Quadratkilometern. Nur Niedersachsen schafft es mit Lüchow-Dannenberg (40) als westdeutsches Land unter die Top 10 – und sogar auf Platz fünf.

Ironischerweise liegen die einzigen beiden bayerischen Landkreise, die geringfügig dünner besiedelt sind als Mecklenburg-Vorpommern, in der nördlichen Oberpfalz. Tirschenreuth und Neustadt an der Waldnaab gehören zwar auch kulturell zu Bayern (im Gegensatz zu den „Beutebayern“ aus Schwaben und Franken), liegen aber deutlich nördlich der Donau, etwa auf der Höhe von Darmstadt in Hessen und damit nur wenig südlich von Frankfurt (wieder Main). Aus Sicht der Münchener, für die Bayern an der Donau endet, ist das schon fast Preußen. Bayern ist also unterdurchschnittlich dicht besiedelt, liegt aber insgesamt eher im unteren Mittelfeld als in der Gruppe der dünn besiedelten Länder.

One thought on “Gefühlte Siedlungsdichte”
  1. […] Deshalb ist es auch erstaunlich, dass ausgerechnet in Bayern der Anteil der Familienarbeitskräfte besonders hoch ist – und damit derjenige der Saisonarbeitskräfte und vor allem der Knechte und Mägde besonders niedrig. Nun mag jemand einwenden, dass Bayern eben ein ländliches Gebiet sei, in dem es wenige Alternativarbeitsplätze gibt. Aber erstens ist das Land mittlerweile ziemlich wirtschaftsstark und zweitens haben wir ja erst vor kurzem festgestellt, dass Bayern zwar leicht unterdurchschnittlich dicht besiedelt ist, aber insgesamt nicht so ländlich ist wie viele Bayern denken. […]

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