Regierungen unterstellt man gerne, dass sie es mit der Neutralität der Statistik nicht immer ganz genau nehmen. Und offenbar nicht ganz zu Unrecht, denn die Bundesagentur für Arbeit weißt auf ihrer Statistik-Seite für den Februar 3.888.000 Menschen als unterbeschäftigt aus, also als arbeitslos, an einer Maßnahme teilnehmend, kurzzeitig krank oder in Altersteilzeit. Arbeitslos nach den Kriterien des SGB III sind davon aber nur 3.017.000 (wen das Thema interessiert, ich habe die Daten für Februar 2015 hier in einem Exkurs zusammengestellt). Doch es gibt auch Überraschungen, beispielsweise gibt es Hartz IV Empfänger die gar kein Hartz IV empfangen. Immerhin 176.288 Menschen tauchen in der Statistik auf, obwohl sie keinerlei Geld oder Sachleistungen beziehen.
Hartz IV oder Arbeitslosengeld2?
Nun ist der Begriff Hartz IV Empfänger natürlich kein offizieller Begriff. Auch die oft verwendeten Bezeichnungen Arbeitslosengeld2 Empfänger oder Sozialgeld Empfänger sind streng genommen unscharf, denn es gibt auch „Arbeitslosengeld2 Empfänger“ die nur Leistungen für Unterkunft und Heizung bekommen, meist vor allem die Miete – und kein Arbeitslosengeld2. Das liegt daran, dass Einkommen zuerst auf das Arbeitslosengeld2 und die anderen Bundesleistungen angerechnet wird. Wer als Alleinstehender beispielsweise 800 Euro verdient und einen Anspruch auf 700 Euro „Hartz IV“ hätte (das ist etwa der Durchschnitt), der hat einen Freibetrag von 240 Euro. Die übrigens 560 Euro werden von den Sozialleistungen abgezogen. Damit ist das Arbeitslosengeld2 weg, es bleiben 140 Euro für Miete. Das überhaupt unterschieden wird liegt daran, dass Miete und Heizung von der Kommune gezahlt wird, das Arbeitslosengeld2 und Sozialgeld vom Bund.
Hartz IV Empfänger ohne Hartz IV
Aber es gibt auch „Hartz IV Empfänger“, die noch nicht einmal diese Leistung beziehen – und zwar im November 2014 immerhin 176.288, das sind 2,9 Prozent der 6.012.232 Leistungsberechtigten. Bei den sogenannten nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, vor allem Kindern, beziehen mit 133.090 sogar 7,8 Prozent der „Sozialgeldbezieher“ kein Sozialgeld.
Wie kann das sein? Der Grund liegt natürlich darin, dass im SGB II weniger Einzelpersonen als vielmehr Bedarfsgemeinschaften im Mittelpunkt stehen, also Familien oder Lebensgemeinschaften. Grundsätzlich sind Familienangehörige füreinander verantwortlich, hat die Frau Arbeit muss sie von dem Geld auch ihren Mann mit ernähren, selbst wenn beide nicht verheiratet sind.
Dass es trotzdem diesen besonderen Fall gibt liegt daran, dass Kinder, zumal minderjährige, nicht für ihre Eltern haften. Denkbar ist beispielsweise, dass der Sohn zweier Leistungsbezieher Arbeit hat. Das Einkommen daraus wird ausschließlich auf seine eigenen Leistungen angerechnet, liegt es höher als die Sozialleistungen muss er daraus nicht seine Eltern und Geschwister unterstützen. Er ist also kein Leistungsempfänger mehr, wird aber noch als Leistungsberechtigter mitgezählt, weil er in der Bedarfsgemeinschaft lebt.
Ein Umfeld von Armut
Die Begründung dafür lautet, dass er in einem Umfeld von Armut lebt. Dass die Regel tatsächlich sinnvoll ist zeigt sich, wenn man sich daran erinnert, dass die Mehrzahl der Leistungsberechtigten ohne Leistungsanspruch Kinder sind, bei den unter 15-Jährigen erhalten 7,9 Prozent kein Geld vom Staat (die oben genannten 7,8 Prozent schließen nicht erwerbsfähige über 15-Jährige mit ein, das sind vor allem Schwerstbehinderte). Darunter fallen vor allem Scheidungskinder und uneheliche Kinder, die Geld von ihren leiblichen Vätern erhalten. Die Mutter (oder seltener der alleinerziehende Vater), womöglich auch Halbgeschwister von anderen Vätern, können aber weiterhin bedürftig sein.
Die Zahl der Leistungsberechtigten ohne Leistungen wäre sogar noch höher, hätten sich die Kommunen bei der Einkommensanrechnung durchgesetzt. Die wollten nämlich, dass das Einkommen der Ehefrau aus unserem Beispiel zuerst auf ihre eigene Leistung anrechnet wird, erst dann auf die des Partners. Das hätte für die Familie keinen Unterschied gemacht, wohl aber für die Kommune, die dann für die Frau keine Unterkunfts- und Heizungskosten hätte zahlen müssen. So kann es passieren, dass nur der Bund von der Einkommensanrechnung profitiert, weil, wie oben beschrieben, zuerst das Arbeitslosengeld2 gekürzt wird. Die Kommunen konnten sich aber damals nicht durchsetzen.
Dass es dieses Phänomen überhaupt gibt dürfte damit zusammen hängen, dass die Erfassung von Leistungsberechtigten nicht so detailliert gesetzlich geregelt ist wie die der Arbeitslosen. Mal sehen wie lange es dauert bis man in Berlin merkt, wie einfach sich die Zahl der „Hartz IV Empfänger“ um fast drei Prozent reduzieren liese.
interessant interessant 😉 Das mit dem Hartz4 und Arbeitslosengeld ist schon verwirrend. Wer da nun die Miete und Heizung bezahlt. Ich glaube man sieht da am Anfang überhaupt nicht richtig durch. Auch muss man bei dem Antrag so viele Dinge und Varianten berücksichtigen. „Ein Umfeld von Armut“ finde ich eine sehr gut gewählte Teilüberschrift. Ich kenne es bei mir selbst in der Familie so. Als Scheidungskind muss man nicht nur gefühlsmässig zurückstecken, sondern auch finanziell.