Dass früher nicht alles besser war, haben wir schon im Beitrag „Armutsgeschichte“ beleuchtet. Noch 1963 lag der Anteil der Armen an der Gesamtbevölkerung höher als heute, obwohl die Armutsgrenze damals noch weit niedriger lag und die Armutsquote seit 1973 im Prinzip fast ununterbrochen gestiegen ist.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Sozialausgaben seit den goldenen 1960er Jahren, der Zeit als die Soziale Marktwirtschaft vermeintlich noch sozial war, keineswegs stetig gefallen, sondern gestiegen sind. In absoluten Zahlen von 32 Milliarden auf 791 Milliarden Euro.
Nun ist seitdem das Geld weniger wert, Deutschland reicher und größer geworden. Interessant wird die Zahl daher erst, wenn man sie ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt setzt. Demnach stieg der Anteil der Sozialausgaben am BIP von 1970 bis 1975 deutlich von 23 auf 29 Prozent und sank anschließend bis 1990 wieder in Etappen auf 26 Prozent. Die Wiedervereinigung brachte dann einen erneuten Anstieg und im Jahr 2010 wurde fast jeder dritte in Deutschland erwirtschaftete Euro für Sozialausgaben verwendet.
Wie kann das sein und wie passt das mit dem Gefühl der Bürger zusammen, dass das soziale Netz löchriger geworden ist? Der berühmte deutsche Pessimismus dürfte hier eine Rolle spielen. Demnach war früher alles besser und neue Sozialleistungen wie das Elterngeld oder der Kinderzuschlag bleiben weniger in Erinnerung als soziale Kürzungen wie die durch die Agenda 2010. Der Hauptgrund dürfte aber in einem anderen Punkt liegen und den sehen wir, wenn wir uns die Verteilung der Mittel ansehen.
Demnach werden fast zwei Drittel der Sozialausgaben für die Bereiche Alter und Krankheit verwendet. Die steigenden Sozialausgaben sind also kein Zeichen für einen Ausbau des Sozialstaats. Sie sind das Ergebnis einer immer älter werdenden Gesellschaft.
Somit ist das subjektive Empfinden der Bürger nicht zwangsläufig falsch. Weitere Faktoren wären zu nennen, beispielweise mehr Alleinerziehende (die öfter auf staatliche Leistungen angewiesen sind) und mehr Geringverdiener, die trotz Arbeit auf Sozialleistungen angewiesen sind (wobei man hier die rückläufige Zahl von Arbeitslosen gegenrechnen müsste). Der Staat gibt also immer mehr für’s Soziale aus und trotzdem bleibt für den Einzelnen mitunter weniger übrig. Eine ziemlich knifflige Herausforderung nicht nur für Sozialpolitiker.
[…] sagen, dass mehr Steuern nicht automatisch weniger Ungleichheit bedeutet. Ein Großteil des Sozialhaushaltes fließt in die Alterssicherung. Alte sind aber aktuell unterdurchschnittlich oft arm. Höhere […]
Guten Tag,
es würden mich die genaue Summe in Milliarden interessieren, die die Sozialausgaben ausmachen. Welchen Anteil wird durch Sozialversicherungsabgaben finanziert, welcher Teil kommt aus Steuermitteln?
Viele Grüße
Georg Lehle
Und 50% des Bundeshaushalts entsprechen bei einer Staatsquote von knapp 50% dann 25% Anteil Sozialleistungen am BIP.
Mich wuerde interessieren aus welcher Quelle die Zahlen in der ersten Grafik (Anteil Sozialleistungen am BIP) stammen. Ein Blick auf offenerhaushalt.de legt einen wesentlich hoeheren Anteil im Jahr 2010 nahe: eher bei 50%. Das stellt den gesamten Verlauf in Frage. Entscheidend ist natuerlich, welche Ausgaben als Sozialleistungen betrachtet werden.
[…] addthis_product = 'wpp-261'; var addthis_config = {"data_track_clickback":true};Zu meinem Beitrag "Mehr Geld fürs Soziale" hatte ich einen etwas schwer verständlichen Kommentar bekommen. Die Steigerung der Ausgaben für […]
Hallo Stefan K.,
zum Teil.
„…könnten auch aus den zunehmenden Pensionsansprüchen […] stammen“
Natürlich, das sind ja auch Ausgaben für das Alter. Natürlich steigen die auch aufgrund der Einstellungswelle in den 1970er Jahren(vgl. https://www.statistiker-blog.de/archives/wer-ist-schuld-an-der-staatsschuld/3140.html), aber auch aufgrund der älter werdenden Gesellschaft.
Was mit „Zweckentfremdung von Geldern der Rentenversicherung“ gemeint ist, ist auch nicht klar. Vielleicht die Frühverrentung. Tatsächlich liegt das Renteneintrittsalter von Frauen heute nicht bei 65, sondern nur bei 60,5 Jahren.
Das ändert aber nichts an dem Befund, dass ein wesentlicher Kostentreiber die alternde Gesellschaft ist.
Die steigenden Sozialausgaben für das Alter könnten allerdings auch aus den zunehmenden Pensionsansprüchen von Beamten und der Zweckentfremdung von Geldern der Rentenversicherung stammen.