Wie steht es mit der religiösen Toleranz weltweit? Ein Index der globalen religiösen Toleranz gibt Antworten, lässt aber auch viele Fragen offen.

Eigentlich befasse ich mich ja meistens bewusst nicht mit tagesaktuellen Themen. Ich habe auch das Lesen von Tageszeitungen weitgehend eingestellt und investiere meine Zeit verstärkt in Bücher. Denn vieles von dem was heute in der Zeitung steht, ist morgen schon überholt. Diese Zeit ist besser in Hintergrundwissen investiert. Und schließlich erlauben Bücher es auch, verschiedene Positionen kennenzulernen – wenn man sich darauf einlässt.

Trotzdem ist das heutige Thema einigermaßen aktuell, es geht nämlich um religiöse Toleranz und religiös motivierten Hass. Ob die jüngsten Attentate überhaupt etwas mit Religion zu tun haben, darüber schreibe ich im Kommentar. Auch muss ich leider sagen, dass ich die grundlegenden Fragen nicht beantworten kann und auch nicht behandeln werde, nämlich die ob der Islam stärker zur Gewalt neigt als andere Religionen. Dafür bräuchte man Daten über Jahrhunderte. Mir fällt nämlich kein Weg ein, wie man nur anhand aktueller Daten zwischen einem grundlegenden Element und einer Mode unterscheiden kann.

Allerdings versuche ich drei andere Fragen zu beantworten – und das natürlich überwiegend mit Daten und nicht mit Spekulationen. Auch wenn sich ein gewisses Maß an subjektiver Interpretation leider nie vermeiden lässt. Allein schon die Tatsache, dass ein Teil der Daten (vor allem bei der dritten Frage) aus einem Buch mit dem Titel „Mythos Überfremdung“ stammt ist natürlich eine Einschränkung (wobei das Buch nicht so einseitig ist, wie der deutsche Untertitel „Eine Abrechnung“ vermuten lässt).

  • Wie sieht es mit religiöser Toleranz in Deutschland aus?
  • Sind andere Länder religiös toleranter oder intoleranter?
  • Wie passen sich die religiösen Einstellungen von Immigranten der Umwelt an?

Außerdem werde ich, vor allem zu den ersten beiden Fragen, noch eine kurze Kritik des Index der globalen religiösen Toleranz vornehmen, auf den sich das stützt. Ein ziemlich langer Beitrag diesmal, das gebe ich zu. Aber es ist ja auch ein schwieriges Thema.

Religiöse Toleranz in Deutschland

Wie tolerant ist Deutschland in Sachen Religion? Sehr, sollte man denken. Immerhin sind die meisten Deutschen nicht besonders religiös – und das macht es einfacher, religiös tolerant zu sein. Hier kann der Index zur globalen religiösen Toleranz von Dr. Arno Tausch helfen.

Arno Tausch ist Gastprofessor der Wirtschaftswissenschaften an der Corvinus-Universität in Budapest und Universitätsdozent für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Sein Index basiert auf Fragen aus dem World Values Survey, einem von Wissenschaftlern verschiedener Universitäten getragen Forschungsprojekt zu Werten und Einstellungen weltweit. Dafür hat er fünf verschiedene Fragen zum Thema Religion herangezogen.

Kirche Nideggen
Kirche in Nideggen. Foto: Tim Bartel

Üblicherweise konnten die Befragten zustimmen oder ablehnen. Alle Werte sind so gestaltet, dass ein hoher Wert für eine hohe Toleranz spricht. Bei der These „Meine Religion ist die einzige akzeptable“ wurde deshalb der Prozentsatz derer herangezogen, die sie ablehnen. Bei „Angehörige anderer Religionen können genauso moralisch sein wie ich“ der Prozentsatz der Zustimmenden.

Die Fragen lauten im Einzelnen:

  1. Meine Religion ist die einzig akzeptable (hier wurde die Ablehnung der These gemessen).
  2. Alle Religionen sollen im Unterricht berücksichtigt werden.
  3. Auch Menschen mit anderer Religion als der eigenen können moralisch sein.
  4. Vertrauen in Menschen mit einer anderen Religion als der eigenen.
  5. Statt Normen und Zeremonien ist es in der Religion am wichtigsten, anderen Menschen Gutes zu tun.

Daher liegen alle Werte zwischen 0,000 und 1,000 beziehungsweise 0,0 Prozent und 100,0 Prozent. Der Gesamtwert ist das arithmetische Mittel aus allen fünf Werten und liegt dementsprechend im gleichen Bereich. Genauere Informationen finden sich im Beitrag auf Oekonommenstimme.org.

religiöse Toleranz Deutschland
Deutschland (grau) liegt beim Index der globalen religiösen Toleranz nur im Mittelfeld. Ganz oben steht Schweden (blau), den letzten Platz belegt Algerien (rot). Quelle: World Value Survey nach Ökonommenstimme

Deutschland liegt erstaunlicherweise nur im Mittelfeld – und weit hinter Ländern wie Polen und den USA, wo die Menschen sehr religiös sind (siehe dazu auch Religiöse Toleranz weltweit und die Kritik an Index der Religiösen Toleranz). Der Durchschnitt aus allen fünf Fragen liegt bei 0,476 und damit hinter Ländern wie Nigeria (0,578) und Russland (0,652) und ähnlich hoch wie in Malaysia (0,439) und der Türkei (0,403).

Schlecht schneidet Deutschland vor allem bei den Fragen ab, ob alle Religionen an öffentlichen Schulen unterrichtet werden und ob Religion bedeutet, anderen Menschen Gutes zu tun oder aber Normen und Gesetze zu befolgen. Beim Vertrauen in Angehörige anderer Religionen und der Ablehnung der These, die einzige annehmbare Religion sei die eigene, steht Deutschland dagegen gut da.

Da stellt sich natürlich die Frage: „Warum schneidet Nigeria beim Thema Religionsunterricht an öffentlichen Schulen für andere Konfessionen“ (83,2 Prozent Zustimmung zur so viel besser ab als

Religiöse Toleranz weltweit

Deutschland steht also beim Index der religiösen Toleranz nach Arno Tausch nicht besonders gut da. Wer aber ist ganz vorne? Vermutlich Schweden, denn die Nordländer sind ja immer ganz vorne. Und tatsächlich belegt Schweden den ersten Rang. Allerdings fällt es den Schweden auch nicht schwer, tolerant zu sein, denn sie sind überwiegend nicht besonders religiös. Nur 7,9 Prozent der Befragten finden Religion sehr wichtig, 18,3 Prozent immerhin wichtig. In Katar finden dagegen 98,9 Prozent Religion sehr wichtig, 0,9 Prozent wichtig und gerade mal 0,2 Prozent nicht besonders wichtig. Mit „überhaupt nicht wichtig“ antwortete in Katar von 106 Befragten kein einziger, in Schweden waren es 34,3 Prozent.

Religiöse Toleranz Statistik
Die zehn Länder mit der höchsten religiösen Toleranz. Ausgenommen sind Länder, in denen nicht zu allen fünf Fragen Antworten vorlagen.

Die Überraschung ist deshalb für mich Polen. 79,6 Prozent der Polen finden Religion wichtig oder sehr wichtig, darunter 45,7 Prozent sehr wichtig. Trotzdem landet das Land auf Platz zwei in der Toleranzskala. Auch die USA kommen für mich überraschend unter die Top 10, obwohl dort 68,4 Prozent Religion wichtig oder sehr wichtig finden (Deutschland 38,0 Prozent). Wobei beim Vereinigte Staaten mir als Europäer vielleicht auch der Blick durch den hierzulande üblichen Antiamerikanismus etwas verstellt ist. Immerhin haben die USA eine lange Tradition religiöser Toleranz.

Weniger überraschend ist der Blick auf das Ende der Skala. Hier finden sich die üblichen Verdächtigen, vor allem nordafrikanische und arabische Staaten. Für viele vielleicht sehr überraschend: Auch reiche Länder sind mit dabei, Kuwait und Katar sind deutlich reicher als Deutschland oder Schweden, allerdings trotzdem sehr intolerant.

Religiöse Intoleranz Statistik
Länder mit niedriger religiöser Toleranz nach dem Toleranzindex von Arno Tausch.

Ich habe ja bereits angekündigt, dass ich leider die Frage nach den Ursachen nicht beantworten kann. Beim Blick auf Algerien oder Armenien fällt einem natürlich sofort ein, dass beide Länder blutige Konflikte mit einem Staat geführt haben, dessen Bürger überwiegend eine andere Religion haben, die Algerier mit Frankreich und die Armenier mit der Türkei. Wobei auch letztere als ehemalige Kolonialmacht mit einem Wert von 0,403 deutlich schlechter abschneidet als das von ihr lange besetzte Zypern mit 0,549.

Toleranz6
Bei der religiösen Toleranz gibt es auch innerhalb der überwiegend islamischen Länder große Unterschiede. Länder mit einem Anteil von 50 Prozent oder mehr Muslimen. Allerdings gibt es in den drei Ländern mit der größten Toleranz sehr große christliche oder animistische Minderheiten. Deutschland ist als Vergleichswert zusätzlich aufgenommen. Der Anteil an Muslimen liegt laut Fischer Weltalmanach 3,9 Prozent (2012).

Die Daten verraten uns also wenig über die Ursachen. Was wir feststellen können ist, dass vor allem Länder aus Nordafrika und der arabischen Halbinsel schlecht abschneiden. Auch muslimische Länder aus anderen Regionen haben bessere Werte, abgesehen von Pakistan, das ähnlich niedrige Werte erreicht wie Kuweit.

Leider lassen sich die Daten nicht nach Religion der befragten unterteilen. Spannend wäre ein genauerer Blick in die drei Länder, die bei der religiösen Toleranz bessere Werte erreichen als Deutschland. Sind die Christen und Animisten (Anhänger von Naturreligionen) toleranter und ziehen der Durchschnitt nach oben? Oder sind Menschen dort toleranter, wo sie Angehörige anderer Religionen nicht nur aus den Nachrichten, sondern auch persönlich kennen. In Nigeria und im Libanon gab es noch 2012 rund 40 Prozent Christen, in Kasachstan rund 35 Prozent.

Wie aussagekräftig ist der Index?

Diese Einschränkung ist nicht einzige, die man machen muss. 400.000 Menschen wurden weltweit befragt, das hört sich nach viel an, ist es aber nicht. Die Studie umfasst immerhin Länder mit insgesamt mehr als 6,5 Milliarden Einwohnern.

Die Antwort auf die Frage 2 nach dem Unterricht für andere Religionsgruppen scheint vor allem davon abzuhängen, ob es so eine Einrichtung bereits gibt. Neben Schweden schneiden hier vor allem Länder gut ab, in denen es traditionell starke Minderheiten anderer Religionen gibt – und vermutlich oft auch Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Ganz vorne steht dabei Trinidad und Tobago (vor allem Christen und Hindus).

Außerdem wurden hier die Atheisten vergessen. In China beispielsweise antworten hier wenig Menschen mit „ja“. Aber nicht, weil sie nur ihre eigene Religion gelehrt wissen wollen. Vielmehr ist das Land zum großen Teil atheistisch und seit Jahrtausenden religiös vielfältig. Schon früh gab es neben Buddhisten, Taoisten und Konfuzianern (wobei letztere auch teilweise auch mehr Philosophie als Religion sind) auch Muslime (zum Beispiel den berühmten Admiral Zhèng Hé) und kleine Hindu-Gemeinden (vor allem im Südosten). Der geringe Grad der Zustimmung erklärt sich durch rund 25 Prozent, die keine Meinung dazu haben. Von denen, die Religionsunterricht ablehnen, dürfte sich das bei vielen nicht nur auf den anderer Religionen beziehen, sondern auf Religionsunterricht insgesamt. Mit anderen Worten: Sie wollen, dass es gar keinen Religionsunterricht gibt.

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Sollen alle Religionen im Unterricht berücksichtigt werden? Anteil der Ja-Antworten.

Kritisch ist hier vor allem die Frage 5: „Statt Normen und Zeremonien ist es in der Religion am wichtigsten, anderen Menschen Gutes zu tun.“ Ein Atheist mag hier mit „Nein“ antworten, nicht weil er Normen und Zeremonien so schätzt, sondern weil er den Religionen unterstellt sich nur darum zu kümmern. Tatsächlich schneidet das kirchenkritische Deutschland hier schlecht ab, nur 22,6 Prozent stimmen der Aussage zu. Auch insgesamt ist der Wert der Bundesrepublik mit 0,476 nicht besonders gut, auch weil hierzulande die Mehrheit Religionsunterricht für alle Glaubensrichtungen ablehnt (nur 28,9 Prozent finden, dass alle Religionen in öffentlichen Schulen gelehrt werden sollten).

Toleranz3

Völlig unbrauchbar ist der Index nicht. Das Gesamtergebnis korreliert mit allen Teilergebnissen relativ gut, den niedrigsten Wert gibt es bei der Frage nach dem Unterricht für alle Religionen. Aber insgesamt würde sich das Ergebnis nicht grundlegend ändern, wenn man eine Frage herausnimmt. Nur einzelne Länder würden sich etwas verschieben. Das spricht für die Aussagekraft.

Ist religiöse Toleranz ansteckend?

Um es noch einmal zu sagen, wir wissen nicht, ob der Islam eher zur Gewalt neigt als andere Religionen. Allerdings wissen wir, dass es vor allem islamische Staaten in Nordafrika und Arabien sind, deren Bewohner wenig tolerant gegenüber anderen Religionen sind.

Was bedeutet das für Europa, wenn nun viele Muslime zuwandern. Wie oft bei komplexen Fragen lässt sich das natürlich nicht so einfach mit ein paar Daten beantworten. Aber es gibt zumindest Hinweise.

In den USA lebende Muslime sagen zu immerhin 69 Prozent, Religion sei sehr wichtig für sie und 47 Prozent gehen nach eigenen Angaben jede Woche in die Moschee. Gab es also gar keine Anpassung an die Gepflogenheiten des Gastlandes? Doch, behauptet der Journalist Doug Saunders in seinem Buch „Mythos Überfremdung“, aus dem diese Zahlen stammen. Den 70 Prozent der US-Amerikaner finden Religion sehr wichtig und 45 Prozent gehen wöchentlich in die Kirche.

Im religionsfernen Frankreich sehen die Dinge anders aus, dort gehen nur rund fünf Prozent wöchentlich zur Moschee, wenig mehr als christliche Franzosen zur Sonntagsmesse gehen. Und 20 Prozent der französischen „Muslime“ sind eigentlich gar keine Muslime. Auf die Frage nach der Religion antworten sie nämlich keiner Religion anzugehören, etwas weniger als bei den Franzosen.

Es gibt natürlich andere Daten, nach denen es beispielsweise in Deutschland ein große Kluft bei der Rolle der Religion zwischen muslimischen und nicht-muslimischen Jugendlichen gibt. Aber auch hierzulande gibt es Daten, die in Richtung Angleichung verweisen.

Statistik: Anteil der Deutschen, Deutsch-Türken und Türken, die es unangenehm fänden, wenn ein Angehöriger der folgenden Konfessionen in ihre Familie einheiraten würde | Statista
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So haben Deutschtürken im Vergleich zu ethnischen Deutschen (oder heißt es autochthone Deutsche?) eine größere Abneigungen dagegen, dass ein Angehöriger eine fremden Religion einheiratet. Vor allem gegenüber Juden und Atheisten ist ihre Einstellung deutlich ablehnender. Im Vergleich zu in der Türkei lebenden Türken werden vor allem Christen deutlich stärker akzeptiert.

Natürlich gibt es auch weniger erfreuliche Trends. In Großbritannien beispielsweise sinkt mit geringerem Alter die Zahl derer, die das britische Rechtssystem über das religiöse stellen wollen von 75 Prozent auf nur noch die Hälfte. Und auch 25 Prozent, die das religiöse Recht für gleichbedeutend oder wichtiger halten als das weltliche sind noch ganz schön viel.

Allerdings gab es solche Formen der Radikalisierung in der zweiten Generation auch bei der katholischen Minderheit in den USA und Großbritannien, die nach Meinung von Doug Saunders („Mythos Überfremdung“) Verhaltensweisen an den Tag legten, die in ihrem Heimatland längst ausgestorben waren oder überhaupt nie praktiziert worden waren.

Fazit

Daten können uns leider nicht alle Fragen beantworten, beispielsweise nicht die, ob er der Islam leichter zu Intoleranz neigt als andere Religionen. Allerdings verraten sie uns zweierlei. Erstens finden sich auf der Liste von Staaten mit niedriger religiöser Toleranz tatsächlich überwiegend islamische Länder, vor allem aus Nordafrika und Arabien. Der Wohlstand scheint keine Rolle zu spielen, wie das Beispiel der Golfstaaten zeigt. Ohnehin halte ich es für unwahrscheinlich, dass sich er Islamismus auf eine einzige Ursache zurückführen lässt, wie das selbst Wissenschaftler in Talkshows und Zeitungsbeiträgen gerne darstellen. Die Daten zeigen aber auch, dass es bei Immigranten eine Anpassung an die Lebensweisen und Werte des Gastlandes gibt. Das würde sich auch mit den Erfahrungen decken, die man in den USA mit der Integration von zunächst schwer integrierbaren Minderheiten wie Deutschen oder Katholiken gemacht hat. Mehr zum Thema im Kommentar.

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