Früher war alles besser. Ego-Gesellschaft, Vereinsamung, Entwurzelung – wer ein Blick in die Gazetten wirft, will sich sofort umbringen. Tatsächlich ist die Zahl der Selbstmorde je 100.000 Einwohner aber seit Jahren rückläufig.

Anzahl der Suizide je 100.000 Einwohner seit 1895. Quelle: TU Dresden

Bis 1970 war die Welt noch in Ordnung. Nach 1900 war die Zahl der Selbstmorde zunächst angestiegen, dann aber im ersten Weltkrieg stark zurückgegangen. Alles so, wie man es erwartet, denn in Kriegen geht die Zahl der Selbsttötungen bei Männern immer deutlich zurück, sie melden sich lieber zur Front. Und Männer stellen rund 75 Prozent der Selbstmörder.

Hochkonjunktur in den 1920ern

In den Wirren der 20er Jahre hatten Selbstmorde Konjunktur. 1939 dann ein Allzeithoch, doch auf diese Zahl sollte man nicht viel geben. Denn ab 1933 gab es eine ganze Reihe von „Selbstmorden“, bei denen von offizieller Seite nachgeholfen wurde.

Nach 1945 sank die Zahl der Selbstmorde tatsächlich, um ab 1955 wieder zu steigen. Alles so, wie Kulturpessimisten es erwarten würden. Doch ab 1975 geht es langsam bergab, trotz „Null-Bock-Generation“ und „No Future“ Anfang der 80er. Ab 1985 geht es dann deutlich runter, auch OECD-weit sinkt ab Mitte der 1980er Jahre die Zahl der Selbsttötungen.

Mehr Depressionen, weniger Selbstmorde

Wie passt das zusammen, mehr Depressionen und weniger Selbstmorde. Und wie belastbar sind diese Zahlen? Tatsächlich wird nicht jeder Selbstmord entdeckt, vertuscht wurden Selbsttötungen aber vor allem in der Vergangenheit, als Selbstmord noch ein großer Makel war. Lediglich die Möglichkeit sich mit Hilfe einer Überdosis Drogen umzubringen, ohne in der Selbstmordstatistik zu stehen, hat zugenommen. Außerdem gibt es mittlerweile eine Kategorie „sonstige Todesfälle“, in der auch einzelne Selbstmorde verschwinden dürften.

Entwicklung der Selbstmorde in ausgewählten Ländern. Quelle: OECD

Aber das alles reicht als Erklärung nicht aus. Mein erster Verdacht hat sich allerdings nicht bestätigt. Ich vermutete nämlich, dass die Alterung der Gesellschaft sich hier positiv auswirkt, weil man im Alter ruhig wird. Die Daten widersprechen der These aber, Selbstmord begehen in Deutschland nur wenige junge Menschen, die meisten sind in der Mitte des Lebens, aber auch viele über 70-Jährige bringen sich noch um.

Überzeugender ist eine andere Erklärung. Mehr Depressionen und weniger Selbstmorde sind zwei Seiten einer Medaille. Mehr psychiatrische Angebote sorgen für mehr diagnostizierte Depressionen, aber zusammen mit einer verbesserten Suizidprophylaxe auch für weniger Selbstmorde.

4 thoughts on “Selbstmord ist out”
  1. Hallo Kev,
    Du hast ja ordentlich getrommelt. Ehrlich gesagt bin ich kein großer Freund der Brutalo-Rhethorik. Wenn Menschen Ihre Wohnung verlieren, weil sie die Raten nicht zahlen können, ist das schlimm. Aber wer von einem „Krieg“ spricht wird sehr erstaunt sein, wenn er einen tatsächlichen Krieg erlebt. Auch die Vokabel „Enteignung“ wird zur Zeit etwas überstrapziert, interessanterweise von beiden ideologischen Lagern. Einmal für die Tatsache, dass die armen Vermögenden kaum noch Zinsen für ihr Geld bekommen, zum anderen wie hier für die Tatsache, dass Menschen ihre Wohnungen verlieren, weil sie die Raten nicht bezahlen können.

    1. Aber nun zum eigentlichen Inhalt Deines Kommentars: Nein, in Kriegszeiten steigt die Zahl der Selbstmorde nicht an, sie sinkt. Zumindest die der Selbstmorde im egneren Sinn, nicht mitgerechnet natürlich diejenigen, die sich freiwillig zur Front melden und fallen.

    2. Die Zahl der dignostizerten Depressionen wird wohl nicht so schnell sinken – allein deshalb weil mehr Depressionen erkannt werden und man auch schneller von einer Depression spricht als früher.

    3. Die Entwicklung der Selbstmorde nach 2006 in den Krisenländern würde mich auch mal interessieren. Ich mache mich auf die Suche und berichte bald darüber.

  2. Mit steigenden Krisenzeiten steigt wohl auch die Anzahl der Suizide – denkt man aktuell an Spanien, sieht man das (leider!) sehr gut: Seit 2008 sollen drei Menschen täglich Suizid begangen haben – und damit sei die Rate höher als die von Verkehrstoten. In 2010 sollen täglich fast 9 Menschen mit ihrem Leben Schluss gemacht haben, las ich in einem Spanienblog (darf ich den Link posten? Wenn ja: http://spanienleben.blogspot.de/2013/03/selbstmord-wegen-krise-neun-personen.html, wenn nicht: Bitte einfach löschen 🙂 ).
    Eingangs hast du ja schon festgestellt: In Kriegszeiten stieg die Anzahl an Selbstmördern. Wir haben aktuell einen anderen Krieg auszutragen – den, in dem Menschen enteignet und auf die Straße gesetzt werden, weil kein Geld da ist. Dieser neue Krieg belastet psychisch mehr als körperlich, was die Depressionen sehr gut erklärt. Diese werden aber durch Therapien behandelt, die im 2. WK nicht möglich waren.

    Insgesamt ist es sicher als positiv zu erachten, dass die Selbstmordrate sinkt. Es wäre großartig, beizeiten lesen zu dürfen, dass selbiges auch für Depressionen gilt …

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