Ich habe ja schon öfter über falsch interpretierte Statistiken geschrieben, seien es Fehlinterpretationen aufgrund falscher Angaben bei Umfragen aufgrund von Erwartungshaltungen (zum Beispiel bei intimen Fragen), seien es bewusste Manipulationen mit statistischen Tricks, falsche Aussagen aufgrund von mangelnder Kenntnis aktueller Statistiken oder einfach wegen ganz banaler (manchmal auch absichtlicher) Denkfehler.

Kleine Warnung am Anfang: Heute geht es nicht so sehr um aktuelle Statistiken, sondern ersten um einen Denkfehler und zweitens handelt es sich um einen Kommentar.

Schon in einem meiner ersten Beiträge habe ich über eine Reihe von Infotafeln geschrieben, die ein Naturkunde-Verein in der mittelfränkischen Stadt Schwabach aufgestellt hat und die dort die Vorzüge der dörflichen Struktur gegenüber der nicht weit entfernten Großwohnsiedlung Eichwasen loben. Der Tenor war: mehr Platz für Tiere, mehr Platz für Natur.

Bodenversiegelung
Gefällt nicht jedem, aber unter dem Gesichtspunkt der Bodenversiegelung wohnt man so optimal Foto: rp72 (Symbolbild, das nicht den im Text beschriebenen Stadtteil zeigt)

Hört sich logisch an, ist an Blödsinn. Kleine, meist nur aus zwei Ebenen (Erd- und Dachgeschoss oder Erdgeschoss und Obergeschoss) bestehende Häuser wie sie aktuell oft gebaut werden verbrauchen viel Platz. Ob die Umweltbilanz eines 15-stöckigen Hochhauses wirklich besser ausfällt, hängt natürlich auch von den Baumaterialien und dem Energieaufwand für Aufzüge und so weiter ab. Rein von der Flächenversiegelung gesehen aber ist ersteres weitaus ökologischer.

Es hängt nämlich davon ab, ob ich den Anteil der versiegelten Fläche pro Quadratkilometer betrachte (was Blödsinn) ist, oder aber die Menge pro Einwohner. Noch mehr Menschen als in den Hochhaus-Siedlungen aus den 1960er Jahren wohnen übrigens in klassischen Innenstädten, allerdings auch bei noch weniger Grünanteil. In meinem alten Stadtteil, der Nürnberger Südstadt, leben in einigen Gegenden rund 20.000 Menschen pro Quadratkilometer. Auf einer Fläche von 200 mal 200 Metern also ein ganzes Dorf mit 800 Einwohnern.

Das Problem tauch immer wieder auf

Dass ich das Thema wiederhole liegt daran, dass es immer wieder auftaucht und ich aktuell ständig darüber stolpere. Beispielsweise in einem Artikel der ADFC-Zeitschrift Fahrradwelt (ADFC = Allgemeiner Deutscher Fahrradclub). Dort wurden verschiedene Fahrradreisen beschrieben, beispielsweise durch Südostasien. Nicht gerade ökologisch, so eine Fernreise, doch was die Autorin wirklich störte war der „Massentourismus“. Die Bettenburgen, die vollen Strände, denen sie ihren eigenen, angeblich vorbildlichen Individualtourismus entgegenstellte.

Doch stimmt das auch? Auf den ersten Blick ja, den große Hotelburgen finden die meisten Menschen hässlich, kleine Hotels dagegen nicht. Aber die große Umweltbeeinträchtigung des Massentourismus ergibt sich nicht durch die hohe Umweltbelastung dieser Reiseform, sondern schlicht durch den ersten Teil des Wortes, die Massen. Massen von Individualtouristen wären noch weit schlimmer, vor allem wenn man bedenkt, dass die meisten nicht mit dem Fahrrad, sondern mit dem Auto unterwegs sind. Gerne auch mal mit alten VW-Bussen oder zum fahrenden Haus umgebauten Unimogs.

Individualtourismus Kritik
So zu reisen ist sicher individuell, aber umwelt- und sozialverträglich? Eher nicht. Foto: Gerhard Grosse

Auch hier wird wieder falsch verglichen. Die niedrigere (sichtbare) Umweltauswirkung der einen Reiseart wird zur anderen ins Verhältnis gesetzt, ohne zu berücksichtigen, wie viele Menschen dahinter stehen. Hinzu kommt der soziale Aspekt. Wer mit Camper durchs Land fährt, schafft nicht sehr viele Arbeitsplätze. Ein Großteil des Geldes, das für den Urlaub ausgegeben wird, bleibt an der Tankstelle.

Ich fahre selbst lieber durchs Land, als am Strand zu sitzen, aber ich bilde mir nicht ein, damit eine Heldentat zu vollbringen oder sehe gerade auf die „Massen“ herab. Man wird dabei auch den Eindruck nicht los, dass viele wohlhabende Individualtouristen es tatsächlich ab liebsten sehen würden, wenn nur sie noch reisen und die breite Masse daheim bleibt. Besonders deutlich wurde das in einem Interview im Rundfunk mit einem Berufstouristen, der sich sehr über die Touristen beklagte. Gefragt, ob er nicht selbst einer sei, behauptete er: „Nein, ich bin ein Reisender“. Seine Umweltbilanz ist trotzdem schlechter als die eines klassischen Strand-Touristen und die meisten Einheimischen dürften zahlende Gäste auch mehr schätzen als ohne viel Geld durchs Land fahrende „Reisende“.

Der gleiche Denkfehler, nur anders

Der gleiche Denkfehler passiert auch immer wieder bei der Diskussion um die Landwirtschaft. Was ist besser für die Umwelt, Bio-Anbau oder konventioneller Anbau? Die Frage scheint klar, Bio muss besser sein. Aber auch hier ist die Faktenlage nicht ganz so leicht. Es ist sogar noch vertrackter als beim Wohnungsbau, wo dichte Bebauung eindeutig weniger Umwelt zerstört. Es kommt hier nämlich auf die Rahmenbedingungen und die Zielsetzung an.

Ist es unser Ziel, einerseits den Bauern zu helfen und andererseits die Umwelt zu schonen, spricht tatsächlich vieles für den Ökolandbau. Angesichts unserer Überschüsse können wir mit der Umstellung auf „Öko“ die Biodiversität pro Hektar deutlich erhöhen und die Belastung der Umwelt reduzieren. Auch Biogas ist unter diesen Aspekten keine so dumme Idee, wie manchmal behauptet. Zwar ist der Flächenverbrauch immens 1, doch besser als Überschüsse zu produzieren und dann zu vernichten ist es allemal. Auch der Export ins Ausland, um den Welthunger zu stillen, ist nicht empfehlenswert. Es gibt in den meisten Regionen genug Nahrungsmittel, sie müssen nur zu denen kommen die sie brauchen. Besser ist es meist, Lebensmittel regional zu kaufen und an die Hungernden zu verteilen, statt sie aus Europa zu importieren.

Biogas
Der Flächenverbrauch für Biogas ist riesig. Ob man diese Methode der Stromerzeugung trotzdem befürwortet hängt auch von anderen Faktoren ab. Beispielsweise bietet diese Form der Stromerzeugung Einkommensmöglichkeiten für Bauern.

Dass es diese Überschüsse gibt, liegt aber auch an Erfindungen, die so gar nicht öko sind. Die Seite Science Heroes listet denn auch Haber und Bosch als die größten Lebensretter der Menschheit auf, die die großindustrielle Synthese von Ammoniak machten und damit die Herstellung synthetischer Dünger. Etwa 5 Milliarden Menschen (!) sollen sie so indirekt das Leben gerettet haben (siehe dazu auch meinen Beitrag zum Thema). Bis zu 40 Prozent des im menschlichen Körpers gebundenen Stickstoffs sollen indirekt aus dem Haber-Bosch-Verfahren stammen.2

Damit sind wir beim nächsten Punkt. Die moderne Landwirtschaft ist effizient, sie kann auf wenig Fläche hohe Erträge erbringen. Das ist nicht nur mit ein Grund, warum der Welthunger trotz steigender Bevölkerungszahlen gesunken ist, sondern auch eine Möglichkeit den Flächenverbrauch in Deutschland zu reduzieren. Um bis zu 40 Prozent soll der Flächenverbrauch nach einer deutsch-schwedischen Studie 3 höher sein. Das würde den Gewinn des ökologischen Landbaus, beispielsweise durch eine höhere Artenvielfalt, mehr als zunichtemachen.

Brandenburg
Solche Grasflächen sehen schön aus, ökologisch sind sie aber nicht besonders wertvoll.

Wie gesagt heißt das nicht, dass Ökolandbau eine schlechte Idee sein muss. Es kommt darauf, was die Alternativen sind. Ökologischer anbauen statt Überschüssen vernichten ist aus Umweltsicht eine gute Idee, konventionelle Verfahren nutzen und dafür beispielsweise trockengelegte Moore wieder reaktivieren wäre aber ökologisch noch besser. So produzieren trocken gelegte Moore aktuell mehr CO2 als der gesamte deutsche Flugverkehr. Allerdings stellt sich die Frage, ob die betreffenden Landwirte da mitmachen würden. Ich halte viel von guten Statistiken, aber sie ersetzen keine politische Debatte über Ziele.

Footnotes

  1. Siehe beispielsweise Unnerstall, Thomas: Energiewende verstehen: Die Zukunft von Autoverkehr, Heizen und Strompreisen, Berlin 2018
  2. Vaclav Smil: „Feeding the World: A Challenge for the Twenty-First Century“, Boston 2001, zitiert nach Maurer, Reiner: Die Umweltrisiken der Bio-Landwirtschaft
  3. Treu, Hanna et al: Carbon footprints and land use of conventional and organic diets in Germany, o.O. 2017, abgerufen am 12.4.2019 unter https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2017.05.041