Heute morgen habe ich mich zur Abwechslung tatsächlich mal in eine Veranstaltung zum Thema quantitative Marktforschung gesetzt. Von den meisten übrigen Sessions unterschied sich diese schon optisch durch den Anteil der Männer in dunklen Anzügen und fand natürlich im GfK-Hörsaal statt. Beispielsweise ging es dort um Fragebögen, bei denen die Frage welches Produkt dem Kunden am besten gefällt von der Frage getrennt, ob er es überhaupt kaufen würde. Das hat allerdings den Nachteil, das man ziemlich viele Fragen bekommt. Also lässt man scheinbar redundante Fragen weg. Wenn A besser als B und B besser als C ist, fragt man nicht mehr, ob A auch besser als C ist. Natürlich kam prompt die Kritik, dass es gar nicht so einfach ist festzustellen, was redundant ist.

Ich habe mir den Rest des Tages dann doch wieder ausschließlich Veranstaltungen zum Thema Armutsmessung angehört. Anders als gestern waren heute alle glücklicherweise auf Deutsch. Im Jahr 2008 waren 15,2 Prozent der Deutschen arm. Das bedeutet, Ihr Nettoäquivalenzeinkommen liegt unter 60 Prozent des Medians. Für einen Alleinstehenden lag die Armutsschwelle bei 10.986 Euro im Jahr, für eine Familie mit zwei Kindern bei 23.070. Ohne Sozialleistungen wie beispielsweise Kindergeld oder Wohngeld wäre übrigens fast jeder vierte arm, nämlich 24,2 Prozent.

Armut korrelliert mit einer Reihe von anderen Faktoren. Wenn man Armutsquoten von Stadtteilen in Berlin mit anderen Faktoren vergleicht, fällt natürlich vor allem die hohe Korrlation mit der Arbeitslosenquote (0,89 – 1,00 ist die höchste denkbare positive Korrelation) und der SGB II – Quote (0,88) auf. Diesen Zusammenhang kann man auch auf Länderebene sehen. Je höher die SGB II – Quote, desto höher im Regelfall die Armutsquote. Allerdings gibt es hier einen Ausreißer: Berlin. Im Regelfall liegt die Armutsquote ein Stück höher als die SGB II – Quote. In Hamburg liegen beide gleich mit 13,1 Prozent, das ist aber aufgrund des Mietniveaus auch nicht verwunderlich. Während die (bundesweite) Armutsquote die Mietkosten ignoriert und damit die Armut in reichen Regionen tendenziell unterschätzt, werden im SGB II Mietkosten im Regelfall übernommen. Dadurch können die Sozialleistungen zumindest nominal recht hoch ausfallen. In wie weit eine regionale Armutsquote daher besser wäre, diskutieren wir später. Aber zurück zu Berlin. Das ist das einzige Bundesland, in dem die SGB II – Quote deutlich über der Armutsquote liegt. 18,3 Prozent der unter 65-Jährigen sind in der Bundeshauptstadt arm, es beziehen aber 19,3 Prozent der unter 65-Jährigen SGB II – Leistungen. In Sachsen-Anhalt sind sogar 19,0 Prozent arm, aber die SGB II – Quote liegt bei nur 12,7 Prozent.

Zurück zu den Berliner Stadteilen. Auch der Anteil von Personen ohne Hauptschulabschluss in einem Viertel (0,60) und der Anteil der Krebstoten an allen Todesfällen (0,34) korreliert mehr oder weniger stark mit der Armutsquote. Anders sieht es – wenig überraschend – mit dem Durchschnittseinkommen eines Stadtteils aus. Je reicher der Stadtteil, desto weniger Arme (-0,75). Überraschender ist die stark negative Korrelation mit der Wahlbeteiligung (-0,68).

Die gesamten Veranstaltunge hier zusammenzufassen würde zu weit führen. Heftig diskutiert wurde vor allem, wie man die Armutsmessung verbessern könne. Wie oben dargestellt sind die unterschiedlichen Preise ein Problem. Eine regelmäßig regionale Preisstatistik gibt es nicht, da die Erhebung zu aufwendig wäre. Aber gut 25 Prozent des unterschiedlichen Wohlstandsniveaus werden durchschnittlich durch die Lebenshaltungskosten wieder aufgefressen. Die Münchner sind zwar auf dem Papier besonders reich, berücksichtigt man aber die Preise liegen die Münchner Einkommen unter dem Bundesdurchschnitt.

Eine Möglichkeit das zu umgehen sind regionale Armutsdefinitionen. Sie haben zur Folge, dass in reichen Regionen die Armutsschwelle auch höher liegt. Außerdem vergleichen Menschen sind oft mit ihrem Umfeld. Armut ist ja in Deutschland ein rein relatives Konzept. Es geht hier nicht um Armut im Sinne von Nahrungsmittelmangel, sondern um soziale Ungleichheit. Wenn man nun unterstellt, dass Menschen sich mit ihrem nähesten Umfeld vergleichen, machen regionale Armutsquoten Sinn. Ein anderer Vorschlag ging auch in die Richtung, Armutsquoten für Haushalte mit mehr als einer Person nicht mehr am Konzept der Äquivalenzeinkommen festzumachen, sondern Armut im Vergleich zu Haushalten des gleichen Typs zu messen.

Beide Konzepte haben jedoch ihren Charme und ihre Probleme. Dass Familien sich nicht in erster Linie mit Singles, sondern mit anderen Familien vergleichen und sich daher nicht als arm fühlen, wenn sie deutlich weniger Geld zur Verfügung haben als das kinderlose Doppelverdienerpaar nebenan mag hinhauen. Aber trifft das auch für Alleinerziehende zu? Oder vergleichen die sich nicht auch mit Familien oder sogar Kinderlosen.

Auch das Regionalkonzept hat Schwächen, vor allem da die Niedersachsen, die dieses Konzept vorstellten, auf Kreisebene berichten. Ein Problem mussten sie selbst einräumen. Die Stadt Delmenhorst ist so arm, dass es dort kaum noch Arme gibt. Das gleiche würde für viele Berliner Bezirke gelten. Wenn mehr als 50 Prozent von SGB II – Leistungen leben, dann ist der Median auf Sozialhilfe-Niveau. Arm wäre nur noch, wer weniger als 60 Prozent des Sozialhilfesatzes als Einkommen hat. Ein anderes Beispiel ist Nürnberg selbst. Die Stadt grenzt an drei kreisfreie Städte und vier Landkreise. Die bilden zusammen einen Lebensraum. Und natürlich sehen die Nürnberger Kinder auch die BMWs der Siemens Ingenieure aus dem Landkreis Erlangen-Höchstadt.

Das Dilemma ist also nicht so leicht zu lösen. Möglicherweise muss man sich damit abfinden, dass man sich dem Thema Armut nur nähern kann, in dem man einen Blick auf verschiedene Zahlen wirft. Statistik kann das Denken nicht ersetzen, Sie kann nur beim denken helfen.