Beim Thema Fahrrad scheiden sich die Geister. Einerseits ist klar, dass die meisten Städte im Verkehr ersticken. Zwar verweisen Autofreunde darauf, dass die Luft in den Städten heute besser ist als vor 40 Jahren. Sogar besser als vor 100 Jahren, als es noch keine Autos, dafür aber Öfen in jedem Haus gab. Andererseits stockt der Verkehr vielerorts, Autos sind außerdem eine Lärmquelle und nehmen viel Raum für sich in Anspruch.
Das Fahrrad wird immer wieder als Alternative genannt, zumal das Fahrradfahren auch der Gesundheit dient. Trotz immerhin 537 getöteten Fahrradfahrern im Jahr 2015 (Quelle: Statistisches Bundesamt). Gleichzeitig zieht aber auch keine Gruppe von Verkehrsteilnehmern so viele Aggressionen auf sich wie die Fahrradfahrer. Ex-Minister Wolfgang Gerhard (FDP) ätzt gegen die Radler, die seiner Meinung nach moralisch überheblich sind und sich außerdem an keine Verkehrsregeln halten würden. Ex-Spiegel-Chef Stefan Aust motzt über den in Hamburg geplanten Ausbau von Fahrradwegen zulasten der Autofläche.Besonders heftig hetzte Auto-BILD jüngst über die Fahrradfahrer. Immerhin gibt der Axel Springer Verlag seit kurzem auch die Bike-BILD heraus.
Die BILD-Gruppe beweist mit ihrer Titelgeschichte („Sie stehlen uns die Straße“) wieder mal ein gutes Gespür für die Volksseele. 81 Prozent fühlen sich nach einer Erhebung von YouGov durch Fahrradfahrer bedroht, bei Autofahrern sind es nur 72 Prozent der Frauen und sogar nur 59 Prozent der Männer, obwohl weitaus mehr Menschen durch Autos als durch Fahrräder getötete werden.
Immerhin stimmt es, dass Fahrradfahrer häufiger als Autofahrer eine rote Ampel überfahren, zumindest wenn man ihren eigenen Angaben traut. Demnach tun das nur 6 Prozent der Autofahrer, aber 22 Prozent der Radler (YouGov in „Wie wir Deutschen ticken“). Wobei jene Autofahrer, die noch über die Ampel fahren, wenn die gerade Rot geworden ist, sich vermutlich mitzählen. Allerdings sollten sich nach dieser Erhebung die Deutschen vor allem von Fußgängern bedroht fühlen, denn dort gehen 71 Prozent gelegentlich über eine rote Ampel.
Ohnehin führt die geringere Regeltreue der Fahrradfahrer nicht dazu, dass sie besonders viele Unfälle verursachen. Nach einer Erhebung des ADFC-Berlin wurden fast 50 Prozent der Unfälle von Fahrrad- mit Autofahrern ausschließlich von den Kfz-Führern verursacht. Die übrigen 50 Prozent verteilen sich auf jene Fälle, in denen die Fahrradfahrer schuld waren und jene, in denen beide Schuld hatten. Leider wird das in den Daten, die dem Verkehrssicherheitsbericht der Polizei entnommen sind, nicht weiter untergliedert.
Der Anteil der Autofahrer, die bei diesen Unfällen getötet oder schwer verletzt wurden, dürfte im Vergleich zu den Fahrradfahrern noch weit niedriger liegen. Somit ist der Ärger des Herrn Gerhard nur teilweise verständlich. Die Fahrradfahrer gefährden sich, im Gegensatz zu einem Rotsünder im Auto, vor allem selbst.
Ja, aber weniger lustig ist, dass das viele Autofahrer tatsächlich so sehen.
„Sie stehlen uns die Straße“
Solche Titel sind besonders lustig, wenn man sich anschaut wieviel Prozent der Stadtfläche für das Parken von Autos verschwendet wird.