Im vergangenen Beitrag habe ich ja über die Tatsache geschrieben, wie Einheiten mit sehr wenigen Fällen leicht für Ausreißer sorgen. Gibt es in einer Region nur einen einzigen Kunden eines Energieversorgers, dann gibt es schnell Extremwerte – in beide Richtungen. Jeder kann das selbst mit einem Würfel ausprobieren. Wer nur einmal würfelt, der wird immerhin mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel einen Extremwert haben, also eins oder sechs. Wer hundert Mal gewürfelt hat, wird selten auf einen Durchschnitt von 1,0 oder 6,0 kommen.
Leider gibt es trotzdem immer wieder Meldungen und Schlagzeilen, die etwa lauten: „Die niedrigste Geburtenrate hat überraschenderweise ein idyllisches Dorf“. Der Artikel geht dann ungefähr so: „Wiesen, Wälder, kaum Autos. Dorfingen könnte ein Kinderparadies sein, doch der Weiler mit 20 Einwohnern hat die niedrigste Geburtenrate in ganz Deutschland“. Natürlich hat er das, bei 20 Einwohnern ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass es keine einzige Geburt gab, zumal von den 20 Menschen ja auch mehrere Senioren oder Kinder sein können.
Die Zeit hat in ihrem Magazin jetzt genau so einen Artikel veröffentlicht. Die Hochburgen der Tätowierer seien nicht etwa in Hamburg mit seiner langen Tätowiertradition durch die Seefahrer oder Hipster-Berlin, nein, zu den zehn Städten mit der höchsten Dichte an Tätowierstudios gehören sechs aus Bayern. Von den übrigen vier liegen übrigens drei in Rheinland-Pfalz, das zum großen Teil ebenfalls mal bayerische war, das vergaß die Autorin Friederike Milbradt zu erwähnen. Die zehnte Stadt ist allerdings Flensburg, das meines Wissens nie zu Bayern gehört hat, dafür aber auch Seefahrer-Tradition hat.
Warum also gibt es in Bayern und Rheinland-Pfalz so viele Tätowier-Hochburgen? Beide Länder haben zusammen mit Thüringen die kleinsten kreisfreien Städte. Die meisten der Top-10 haben weniger als 50.000 Einwohner, nur Trier fällt aus dem Rahmen, das ist die einzige Großstadt in dem Reigen. Zweibrücken dagegen hat gerade mal rund 35.000 Einwohner.
Es ist aber nicht nur die geringe Bevölkerungszahl, die diese kleinen Stadtkreise anfällig für solche Ausreißer macht. Schon ein Blick auf ihre Karte hätte die Autorin stutzig machen sollen. Sie zeigt, warum es in bayerischen Städten wie Schweinfurt und Straubing so viele Tätowierstudios gibt. Es gibt nämlich auch genau zwei Landkreise in Deutschland ohne eigenen Tätowierer, nämlich – Überraschung! – Schweinfurt und Straubing-Bogen. Weder in Schweinfurt noch in Straubing wird also besonders viel tätowiert, beide Städte tätowieren auch das Umland. Zählt man zu den rund 45.000 Straubingern noch die fast 100.000 Einwohner des Landkreises Straubing-Bogen dazu, dann liegt die Stadt nur noch im Mittelfeld.
Nun ist die Zentralfunktion von Städten auch für das Tötowiergewerbe keine bayerische Besonderheit. Das Hochsauerland wird sicher zum großen Teil in Meschede tätowiert und das Hessische Hinterland in Marburg. Doch weder Meschede noch Marburg sind kreisfrei. Die Stadt taucht also in der Statistik zusammen mit dem Umland auf, ebenso als würde man Straubing und Straubing-Bogen zusammen rechnen.
Ein ähnliches Phänomen ist auch mit dafür verantwortlich, dass Frankfurt am Main als Kriminalitätshochburg gilt. Denn in der Stadt halten sich tagsüber weitaus mehr Menschen auf als sie Einwohner hat. Zu den Bewohnern kommen noch die hunderttausenden Pendlern und die Passagiere am Frankfurter Flughafen.
Das erklärt auch, warum die drittkleinste kreisfreie Stadt Deutschlands nicht auf der Liste auftaucht. Schwabach ist nämlich eine Nachbarstadt von Nürnberg, da gibt es vermutlich ebenfalls Tätowierstudios. Bei der zweitkleinsten Stadt, Suhl, dürfte dagegen eher die Altersstruktur der Grund sein.