Schon im September hatte „The Pioneer“, das Medienportal des ehemaligen Handelsblatt-Chefredakteurs Gabor Steingart, eine Story über die deutschen Jobcenter gebracht (ich wurde erst jetzt durch einen Newsletter darauf aufmerksam, daher berichte ich erst heute darüber). Exzess der Bürokraten titelte das Portal und glaubt, einen Skandal ausgegraben zu haben. Der Großteil der Gelder der Jobcenter werde für die Bürokratie verwendet, behauptet Autor Michael Graf von Bassewitz. 67 Prozent der Ausgaben seien Verwaltungskosten. Doch das ist gleich doppelt falsch.
„Exklusive Auswertung“
Nur in zwei Jobcenter in Deutschland, so meint der Autor, kommt mehr als die Hälfte der Ausgaben als Unterstützung bei den Arbeitsuchenden an. Einige Jobcenter würden dagegen sogar mehr als 80 Prozent „für die Verwaltung“ ausgeben. Das hätten „exklusiv ausgewertete Zahlen“ gezeigt.
Dabei genügt ein Blick auf die Internetseite der Bundesagentur für Arbeit um festzustellen, dass die Jobcenter nicht 67 Prozent, sondern 11,7 Prozent für die eigene Verwaltung ausgeben. Eine Fußnote weist allerdings darauf hin, dass die Verwaltungsausgaben von 6,1 Milliarden Euro nicht den Anteil der Kommunen enthält. Doch selbst wenn die Kommunen noch mal den gleichen Betrag ausgeben sollten und alle anderen Ausgaben erfasst wären, kommt man dann nur auf 20,9 Prozent Verwaltungskostenanteil. Allerdings sind auch kommunale Eingliederungsleistungen und die Leistungen für Bildung und Teilhabe nicht enthalten, sodass der Anteil der Verwaltungskosten niedriger wäre.
Verwaltungsausgaben ohne kommunalen Finanzierungsanteil. Eingliederungsleistungen ohne kommunale Leistungen, ohne Leistungen für Bildung und Teilhabe.
Bürgergeld vergessen
Warum liegt „The Pioneer“ hier so falsch? Ganz einfach, die „exklusiv ausgewerteten Zahlen“ haben die Ausgaben in Höhe von 42,3 Milliarden Euro für Bürgergeld, Unterkunftskosten und Sozialversicherungsbeiträge nicht berücksichtigt. Die sogenannten Eingliederungsleistungen liegen tatsächlich deutlich unter den Verwaltungsausgaben, aber die Jobcenter betreiben nicht nur Arbeitsvermittlung, sondern sind vor allem für die Berechnung und Auszahlung des Bürgergelds und der Unterkunftskosten zuständig. Für die meisten Bürgergeldempfänger dürfte dieser Teil der Arbeit sogar der wichtigere sein.
Warum man „The Pioneer“ auch mit viel gutem Willen nicht zustimmen kann
Was aber, wenn „The Pioneer“ nur das Thema Arbeitsvermittlung betrachtet hat? Auch dann bleibt der Beitrag Unsinn. Zunächst einmal hätte man dann nicht alle Verwaltungsausgaben berücksichtigen dürfen, sondern nur jene, die für die Arbeitsvermittlung entstehen.
Zum zweiten gibt es ein Problem, an dem die Bundesagentur für Arbeit nicht ganz unschuldig ist. Sie spricht immer von „Verwaltungskosten“ statt von „Verwaltungs- und Personalkosten“. Denn ein großer Kostenblock sind die Arbeitsvermittler selbst. Das aber sind keine Verwaltungskosten im klassischen Sinne. Vielmehr beraten und begleiten sie die Arbeitslosen. Schon die Tatsache, dass sie Arbeitslose regelmäßig zu Gesprächen einladen, kann Druck ausüben sich intensiver um Arbeit zu bemühen.
Das ist also so, als würde „The Pioneer“ behaupten, die Schulen würden das meiste Geld für die Verwaltung ausgeben, weil mehr Geld für Gebäude und Personal (vor allem Lehrer) ausgegeben wird, als für Schulbücher. Nicht nur Lehrer, auch Polizisten, Ärzte oder Krankenpfleger wären nach der Logik von „The Pioneer“ Verwaltungskosten.
Wie die Jobcenter die Verwaltungskosten senken könnten
Der Grund, warum zwei Jobcenter so viel weniger Geld für die „Verwaltung“ ausgeben dürfte daran liegen, dass sie vermutlich Teile der Arbeitsvermittlung an Dritte vergeben. Übernimmt eine „Arbeitsamt“ die Vermittlung nichts selbst, sondern beauftragt einen Dritten damit, fällt das bei den Ausgaben unter „Eingliederungsleistungen“. Damit wird der Anteil der Verwaltungskosten zumindest auf dem Papier gesenkt.
Wirft man einen Blick in die Statistik, so stellt man außerdem fest, dass Ausgaben für die Eignungsfeststellung von Arbeitslosen sowohl über die Verwaltungsausgaben als auch über die Eingliederungsleistungen abgerechnet werden können, was einen Vergleich natürlich erschwert.
Fazit
Halten wir also fest: „The Pioneer“ hat zwei große Fehler gemacht.
- Es wurde übersehen, dass Arbeitsvermittlung nur eine von zwei Aufgaben ist. Die andere ist die Auszahlung des Bürgergelds und anderer Sozialleistungen.
- Die Verwaltungsausgaben enthalten auch alle Personalausgabe. Also nicht nur jene für die Personalabteilung oder andere klassische Verwaltungstätigkeiten, sondern auch die für Sozialarbeiter und Berater.
„The Pioneer“ hat damit schlecht recherchiert und die verwendeten Zahlen sind nicht besonders exklusiv. Kein Ruhmesblatt angesichts des eigenen hohen Anspruchs.