Gerade mal eine einzige Tabelle zur Lebenserwartung enthält der „Gleichstellungsatlas des Bundesministeriums für Frauen, Soziales, Familie und Jugend, versteckt in der Kategorie „Lebenswelt“ (ein Kommentar zum „Gleichstellungsatlas“ wird nächste Woche die Serie zur Geschlechterungleichheit abschließen). Dabei verblassen fast alle anderen Unterschiede zu diesem, nämlich der Frage ob man leben darf oder tot ist.
Männer sterben früher
Lässt man sich die Daten des Bundesministeriums zur Lebenserwartung von Excel als Grafik anzeigen, sieht das ganze erst einmal sehr erschreckend aus. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind riesig – und die zwischen einzelnen Bundesländern auch nicht gerade klein. Das liegt aber zunächst einmal an der Unart von Excel, die Achsen abzuschneiden und in diesem Fall die Grafik bei 72 beginnen zu lassen. Setzt man den Beginn der Achse auf Null, wie das bei seriösen Grafiken der Fall sein sollte, sind die Unterschiede schon nicht mehr ganz so stark.
Deutschlandweit werden Frauen im Durchschnitt 83,1 Jahre alt, Männer dagegen nur 78,2 Jahre, ein Unterschied von fast fünf Jahren. Besonders groß ist die Differenz in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Dort liegt er bei 6,3 Jahren. Vorbildlich sind dagegen Hessen und Baden-Württemberg, dort ist der Unterschied mit 4,9 Jahren vergleichsweise gering. Trotzdem dürften die meisten Altenheime auch in Hessen und Baden-Württemberg eine 40 Prozent Männer-Quote verfehlen.
Das Ergebnis passt zu anderen Erhebungen. Besonders groß ist der Unterschied weltweit vor allem in den Staaten des ehemaligen Ostblocks. Die Vermutung liegt nahe, dass der Umbruch dort Männer besonders hart getroffen hat, weil sie sich stärker über den Beruf definieren. Und deshalb stärker unter Arbeitslosigkeit, dem Verlust von Reputation oder langen Pendelwegen leiden. Schon in den 1930er Jahren hatten Marie Jahoda, Paul Felix Lazarsfeld und Hans Zeisel in der Feldstudie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ gezeigt, dass der Verlust der Arbeit Männern stärker zusetzte als Frauen.
Männer holen auf
Immerhin kann man feststellen, dass die Unterschiede in allen Bundesländern geringer geworden sind. Im Jahr 2015, aus diesem Jahr stammen die Daten des „Gleichstellungsatlas“, lag der Geschlechterunterschied mit 4,9 Jahren rund ein halbes Jahr niedriger als 2008. Besonders stark war der Rückgang in Bayern und Nordrhein-Westfalen mit rund 0,6 Jahren.
Es bleibt abzuwarten, ob der Rückgang sich fortsetzt und wie klein er werden wird. Das hängt natürlich auch von den politischen Rahmenbedingungen ab. Bisher legen viele Gleichstellungsbeauftragte ihren Schwerpunkt trotz der längeren Lebenserwartung von Frauen auf diese Personengruppe. Sie bieten, oft in Zusammenarbeit mit Volkshochschulen, Gesundheitskurse für Frauen und besondere Angebote für typische Frauenkrankheiten wie Brust- oder Gebärmutterkrebs. Die VHS Schwabach habe ich auf diese fragwürdige Praxis hingewiesen. Angeblich gebe es keine Angebote für Männer auf dem Markt. Erstaunlicherweise bietet aber in der gleichen Stadt mit dem TV 48 ein Sportverein mit „Mann, tu was!“ ein entsprechendes Projekt – ganz ohne Subventionen.
Seit 2008 ist der Rückgang im Unterschied der Lebenserwartungen relativ konstant. Allerdings ist der Zeitraum auch relativ kurz. Von Prognosen, wie es in den nächsten Jahren weitergeht, sehe ich deshalb ab.
Todesursachen bei Männern und Frauen
Warum aber leben Frauen länger? Vermutlich ist ein Mix verschiedener Ursachen verantwortlich. Ihre Hormone scheinen Frauen beispielsweise besser gegen Herzinfarkte zu schützen. Zwar gibt es dafür andere Todesursachen, die vor allem Frauen betreffen, beispielsweise Brust- und Gebärmutterkrebs. Allerdings wurde in den vergangenen Jahrzehnten eine Infrastruktur aufgebaut, die solche Erkrankungen frühzeitig erkennen soll. Der Arzt Frank Sommer schätzt gegenüber der Zeitschrift Focus, dass für Forschungen zur Frauengesundheit zirka zehnmal so viel Geld ausgegeben wird wie für die Männergesundheit.
Hinzu kommt, dass Männer häufiger rauchen, mehr trinken und seltener zum Arzt gehen. Sie arbeiten häufiger in gefährlichen Jobs sind sie insgesamt risikobereiter. Die sogenannte Klosterstudie fand heraus, dass Mönche deutlich länger leben als andere Männer, Nonnen dagegen kaum länger als andere Frauen. Bei Mönchen und Nonnen beträgt der Unterschied in der Lebenserwartung nur ein Jahr. Das ist ein Hinweis darauf, dass vermutlich soziale Faktoren für die ungleiche Lebenserwartung verantwortlich sind.
Sterbegründe für Männer und Frauen
Darauf weist auch die Statistik der häufigsten Todesursachen hin. Beispielsweise sterben Männer deutlich häufiger an Lungenerkrankungen. Das passt zu dem Befund, dass sie häufiger rauchen. In der Generation 70+, die einen Großteil der Todesfälle stellt, ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen beim Tabakkonsum sogar noch größer.
Auch am Herzinfarkt sterben mehr Männer als Frauen, natürlich auch an Prostatakrebs. Auffällig ist, dass ähnlich viele Männer an Prostatakrebs sterben wie Frauen an Brustkrebs, ohne dass das Thema deswegen die gleiche Aufmerksamkeit bekäme.
„Nicht näher bezeichnete Demenz“ und Herzschwäche töten dagegen mehr Frauen als Männer. Bei der Interpretation sollte man aber bedenken, dass jeder Mensch irgendwann einmal stirbt. Das bedeutet, ein Mann der mit 45 an einem Herzinfarkt stirbt kann nicht mehr mit 85 an Demenz sterben. Frauen sind also nicht zwangsläufig anfälliger für Herzinsuffizienz oder „nicht näher bezeichnete Demenz“, sie sterben an diesen Krankheiten häufiger, weil sie nicht vorher schon an anderen gestorben sind.
Fazit und persönlicher Kommentar
Männer leben weniger lang als Frauen. Die genauen Gründe sind umstritten, ich habe das Thema deshalb auch nur kurz angeschnitten. In meinen Augen ist die Frage aber nicht wahnsinnig entscheidend. Auch wenn Männer mehr verdienen als Frauen, werden oft biologische Gründe angeführt. Männer seien von Haus aus dominanz- und wettbewerbsorientierter, heißt es dann. Wer diese Erklärungen zurückweist oder trotzdem auf eine Angleichung bei Gehältern und Führungspositionen fordert, kann sich bei der Frage der Lebenserwartung nicht auf die Biologie zurückziehen. Hinzu kommt, dass der Staat langes Leben mit Ausgaben für Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung subventioniert. Auch die Angleichung der Lebenserwartung gehört deshalb auf eine gleichstellungspolitische Agenda. Da aber passiert bisher wenig.
[…] ich bereits mehrfach angesprochen habe. Einmal das Thema Corona (ja, immer noch) und außerdem die Übersterblichkeit von Männern – und das gesellschaftliche Desinteresse daran. Allerdings will ich ja nicht nur unterhalten, […]
[…] und Jugend fällt schon fast in die Kategorie „So lügt man mit Statistik“. Das Thema Lebenserwartung findet man nur versteckt in der Kategorie „Lebenswelt“. Statt sich dem Thema intensiver […]