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Die Älteren werden sich noch dran erinnern: gedruckte Zeitungen.

Ich hatte ja vor fast 14 Tagen einen alten Beitrag von mir zum Thema „Politische Präferenzen von Journalisten“ um neue Daten ergänzt. Demnach stehen 63 Prozent der Journalisten Grünen, SPD oder Linkspartei nahe, aber nur 11 Prozent CDU, CSU oder FDP. Alleine die Linkspartei kommt mit 6 Prozent auf fast so viele Unterstützter wie die beiden Unionsparteien mit 8 Prozent.

Die Statistiken wurden von zahlreichen Medien berichtet. Spannender ist für uns deshalb die Frage, warum das so ist. Als eine Erklärung wird immer der Herdentrieb genannt. Gehört in einer Gruppe ein Großteil der Menschen einer politischen Richtung an, wächst der Druck auf die Anderen, sich ihnen anzuschließen. Das ist sicher auch nicht falsch, aber dafür muss es ja erst einmal eine ausreichend große Gruppe geben.

Um die Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst überlege, wie Menschen politische und moralische Entscheidungen treffen. Das, was ich nun schreiben werde, gilt nicht nur für Journalisten, sondern natürlich auch für alle anderen Menschen. Die grünen Journalisten sind nur ein Aufhänger, weil sich das Prinzip an diesem Beispiel so gut erklären lässt.

Unsere „natürliche KI“

Zahlreiche Forschungsergebnisse zeigen, dass wir oft nicht in erster Linie rational entscheiden, sondern vor allem in moralischen und politischen Fragen zunächst intuitiv entscheiden und später die Entscheidung nur rational rechtfertigen1.

Anders als oft behauptet, sind solche intuitiven Urteile nicht per se schlecht. Sie basieren auf Erfahrungen aus der Vergangenheit und gedanklichen Abkürzungen, so genannten Heuristiken. Ein bisschen kann man sich das wie die Arbeit einer KI vorstellen. Natürliche künstliche Intelligenz, das ist ein Widerspruch in sich. Doch das Bild hilft zu verstehen, wie Menschen Entscheidungen treffen, vor allem in politischen und moralischen Fragen.

„Die Ähnlichkeit von KI und menschlicher Intuition] ist ein spannendes Thema! Der Vergleich zwischen menschlicher Intuition und der Arbeitsweise einer KI kann viele interessante Einblicke bieten.“ Das sagt eine, die es wissen muss, nämlich die KI selbst. Genauer gesagt ChatGPT auf die Frage, ob sich ihre Arbeitsweise gut mit der menschlichen Intuition vergleichen lässt.

Zwei große Gemeinsamkeiten

Vor allem zwei Gemeinsamkeiten fallen auf:

1. Mustererkennung: Menschen entwickeln Intuition durch die Erfahrung, Muster und Zusammenhänge in der Welt zu erkennen. Diese Fähigkeit beruht auf dem Unterbewusstsein und den Erfahrungen, die im Laufe der Zeit gesammelt wurden. Machine Learning basiert ebenfalls auf der Erkennung von Mustern in großen Datenmengen. Durch Training mit vielen Beispielen lernt die KI, ähnliche Muster in neuen Daten zu erkennen.

2. Erfahrungsbasiertes Lernen: Menschliche Intuition wird stark durch vergangene Erfahrungen beeinflusst. Diese Erfahrungen formen unsere Erwartungen und Vorhersagen über zukünftige Ereignisse. Gespeichert sind dabei auch die Erfahrungen unserer Vorfahren, die durch die Evolution weitergegeben wurde. KIs werden durch Trainingsdaten „erfahren“. Je mehr Daten und verschiedene Szenarien sie durchläuft, desto besser wird sie darin, Vorhersagen zu treffen oder Aufgaben zu erfüllen.

Natürlich gibt es auch zahlreiche Unterschiede, doch um menschliche Verhaltensweisen besser zu verstehen hilft das Bild von der „natürlichen KI“.

Wie bei jeder KI gibt es oft Probleme

Natürlich liefert unsere Intuition nicht immer brauchbare Ergebnisse. Sonst würde ich auf diesem Blog nicht so viel für empirisch Denk- und Arbeitsweisen werben. Aber auch das Problem ist von ChatGPT und Co bekannt, wie ich im Beitrag über den Statistiker Julius Gumbel beschrieben habe.

Um in dem Bild zu bleiben, arbeitet unsere „KI“ teilweise mit veralteten Trainingsdaten. Sie nutzt nämlich nicht nur unsere eigenen Erfahrungen, sondern auch die unserer Vorfahren. Die werden uns über nicht nur über Traditionen, sondern noch mehr über unsere Biologie weitergegeben.

Nicht Gerechtigkeit, sondern Nützlichkeit entscheidet

Wie bei jeder KI hängen die Ergebnisse auch davon ab, auf was die KI trainiert wurde. Am Ende haben die Modelle überlebt, die sich am nützlichsten für die Betroffenen herausstellten. Wir sind beispielsweise sehr darin uns einzureden, dass wir Dinge, die wir um unseretwegen tun, eigentlich für andere oder für höhere Ideale machen. Wir sind also deutlich egoistischer, als wir es von uns selbst denken .

Damit will ich auf keinen Fall behaupten, dass wir nur Egoisten wären. Der Neurowissenschaftler Robert Sapolsky schreibt in seinem Buch „Behave – The Biology of Humans at our Best and Worst“ von unserer „bienenhaften“ Natur, um jenen Teil unseres Handelns zu beschreiben, in dem wir unsere Interessen zugunsten Anderer zurückstellen. Natürlich behandeln wir dabei aber nicht alle gleich, für einige Menschen, vor allem unsere Familie, sind wir mehr bereit zu opfern. Aber auch mit größeren Gruppen wie einer Religionsgemeinschaft, einer Nation oder einer Berufsgruppe fühlen wir uns oft verbundener als mit anderen. Aber nur wenige Menschen dürften völlig gleichgültig gegenüber dem Leid eines absolut Fremden sein.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wir sind nicht so selbstlos, wie wir es von uns selbst denken, aber auch nicht so egoistisch, wie wir es anderen unterstellen.

Kommen wir wieder zu den Journalisten

Aber was hat das mit unseren Journalisten zu tun? Warum sind starke linke und grüne Parteien für sie vorteilhaft? Dafür brauchen wir eine zweite Theorie, nämlich die von Thomas Sowell. Der hat sich die Frage gestellt, warum bei so vielen politischen Fragen sich die gleichen Menschen auf der einen und die gleichen auf der anderen Seite wiederfinden. Warum sind so viele Menschen, die für ein hohes Bürgergeld sind auch für offene Grenzen, gegen Atomkraft, feministisch, polizeikritisch und so weiter.

Die Einstellung zu Gleichheit und Ungleichheit erklärt viel, aber nicht alles. Beispielsweise sind die Grünen auch in jenen Bereichen feministisch, in denen die Männer ohnehin im Nachteil sind. Auch der Umweltschutz passt da nicht so ganz rein oder die Einstellung zu Polizei und Militär (auch wenn die Grünen ihre Einstellung zum Militär zuletzt sehr gewandelt haben).

Constrained vs. unconstrained vision

Thomas Sowell unterscheidet in seine bisher leider nicht ins deutsche übersetzten Buch „A Conflict of Visions“2 zwei Visionen, die er als unbegrenzt (unconstrained) und begrenzt (constrained) bezeichnet. Auf Deutsch könnte man von der Idee der unbegrenzten Formbarkeit und der Idee der begrenzten Formbarkeit sprechen.

Die beiden Visionen in der Nussschale:

  1. Constrained Vision (der realistische Ansatz): Diese Vision sieht die menschliche Natur als schwer veränderlich und fehlerbehaftet. Menschen sind begrenzt in ihrer moralischen, intellektuellen und emotionalen Kapazität, und deshalb sollten Institutionen, Regeln und Anreize diese Schwächen berücksichtigen.
    • Menschenbild: „Wir sind nicht perfekt und werden es nie sein. Mach das Beste aus dem, was du hast.“
    • Lösungsansatz: Praktisch, pragmatisch, evolutionär. Kleine Schritte und Institutionen wie Märkte und Traditionen helfen, das Chaos zu bändigen.
    • Perspektive: Es gibt keine endgültigen und perfekten Lösungen, nur Kompromisse zwischen Vor- und Nachteilen (bei Sowell: „no solutions, just trade-offs“).
    • Beispiel: „Menschen sind gierig, also lass uns Märkte nutzen, um diese Gier in produktive Bahnen zu lenken.“
  2. Unconstrained Vision (der idealistische Ansatz): Diese Vision glaubt, dass Menschen grundsätzlich formbar und zum selbstlosen Guten fähig sind und dass ihre Fehler auf schlechte Umstände oder Institutionen zurückzuführen sind. Wir müssen nur die Welt radikal verändern, um ein Paradies auf Erden zu schaffen.
    • Menschenbild: „Wir haben das Potenzial, Großartiges zu schaffen, wenn wir uns nur genug anstrengen und den aufgeklärteren und intellektuelleren Führern folgen.“
    • Lösungsansatz: Idealistisch, revolutionär, kreativ. Machtstrukturen und Traditionen müssen beseitigt werden, um dem Guten zum Durchbruch zu verhelfen.
    • Perspektive: Es gibt für (fast) alle Probleme eindeutige und endgültige Lösungen.
    • Beispiel: „Wenn wir die Welt radikal verändern, werden Menschen ihr volles Potenzial entfalten.“

Ein Beispiel für die unconstrained Vision ist die Vision eines kommunistischen Paradieses auf Erden. Nach den Vorstellungen vieler Kommunisten würde die Abschaffung des Kapitalismus das Beste in den Menschen freisetzen, sodass irgendwann alle geben, was sie können und nur nehmen, was sie brauchen. Im Extremfall könnte auf den Staat dann ganz verzichtet werden.

Wie äußert sich der Unterschied in unserem Alltag?

Auf unseren Alltag heruntergebrochen bedeutet dass, dass für Anhänger der Idee der unbegrenzten Formbarkeit hohe Sozialausgaben keine Fehlanreize bergen. Schlimmstenfalls müssen die Empfänger sozialpädagogisch begleitet und motiviert werden. Auch Kriminalität sollte nicht in erster Linie mit der Polizei, sondern durch Pädagogik bekämpft werden. Starke staatliche Eingriffe in die Wirtschaft sind wünschenswert, um diese richtig zu steuern. Kulturelle Konflikte lassen sich am besten bekämpfen, indem hinderliche Traditionen ausgelöst und durch eine neue, gemeinsame Kultur ersetzt wird.

Anders dagegen die Anhänger der „constrained vision“. Traditionen sind hier gut, weil sie Gemeinsamkeit schaffen und verhindern, dass alle nur noch ihren eigenen Vorteil verfolgen. Friedirch A. Hayek schreibt dazu: „Tradition ist nichts Beständiges, sondern das Produkt eines Selektionsprozesses, der nicht von der Vernunft, sondern vom Erfolg geleitet wird.“3

Auch Märkte und Wettbewerb werden hier ganz anders gesehen, nicht als Verschwendung von Ressourcen oder ein suboptimaler Verteilungsmechanismus, sondern als Möglichkeit den Eigennutz in Produktive Bahnen zu lenken.

Was hat das mit den Journalisten zu tun

Wer sich die Idee der unbegrenzten Formbarkeit durchliest merkt schon, warum sie für Journalisten, aber auch für Pädagogen und Sozialwissenschaftler so attraktiv ist. Zunächst einmal passt die Idee der Formbarkeit des Menschen oft zu ihrer eigenen Erfahrung, dass es ihnen nicht selten gelingt, andere Menschen eher mit Worten als mit Gewalt zu überzeugen.

Außerdem haben sie in dieser Vision eine besondere Bedeutung. Wenn Menschen so formbar durch Sprache und Pädagogik sind, sind Pädagogen, Sozialwissenschaftler, Künstler und eben auch Journalisten besonders wichtig. William Godwin, ein Anhänger der „unconstrained vision“ schreibt beispielsweise: „Echte intellektuelle Vervollkommnung erfordert, dass der Verstand so schnell wie möglich auf den Stand des Wissens gebracht wird, der unter den aufgeklärten Mitgliedern der Gemeinschaft bereits verbreitet ist.“4 Wenn das nicht für jeden Intellektuellen verlockend ist, dass er oder sie als Vorbild für den Rest der Menschheit dienen soll.

Natürlich gibt es noch andere Faktoren, aber ich glaube, dass sich ein großer Teil des Phänomens so erklären lässt.

Footnotes

  1. Weigel, Tilman: Alternative Fakten, Schwabach 2022
  2. Sowell, Thomas: A Conflict of Visions – Ideological Origins of Political Struggles, New York 2007
  3. Zitiert nach: Sowell, Thomas: A Conflict of Visions – Ideological Origins of Political Struggles, New York 2007, Seite 73
  4. Godwin, William: Enquiry Concening Political Justice, Vol. II, Seite 206, zitiert nach Sowell, Thomas: A Conflict of Visions – Ideological Origins of Political Struggles, New York 2007, Seite 41

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