Ich habe neuerdings eine App („electricityApp“), mit der ich fast in Echtzeit anschauen kann, aus welchen Quellen der Strom in verschiedenen Regionen stammt und wie viel CO₂ dabei entsteht. Für Deutschland liefert mir die App aktuell keine Daten, trotzdem ist der Blick ganz interessant. Am Ende des Beitrags spreche ich noch mal kurz über den Stromverbrauch beim Streaming.
So klima(un)freundliche wird der Strom produziert
Samstag, 5. Februar 2022 um 16.00 Uhr steht Island besonders gut dar. Nur 24 Gramm CO₂ (genauer gesagt CO₂-Äquivalente) entstehen dort bei der Produktion einer Kilowattstunde Strom aktuell. 99 Prozent des Stromes kommt aus CO₂-armen Quellen. Das ist aktuell ein Spitzenwert, auch wenn einzelne Regionen weltweit noch günstiger Strom produzieren. Das sind aber nur einzelne Regionen, etwa die zu Großbritannien gehörenden Orkney Inseln, die nur 13 Gramm pro Kilowattstunde ausstoßen.
Der Grund liegt darin, dass die Orkney-Inseln ihren Strom zu fast 100 Prozent aus Wind gewinnen, laut meiner App mit 11 Gramm CO₂-Äquivalenten die günstigste Energieform. Island bezog seinen Strom zu diesem Zeitpunkt zu drei Vierteln aus Wasser und zu einem Viertel aus Geothermie. Beide Energieformen gelten mit 24 Gramm (Wasser) und 38 Gramm (Geothermie) meiner App als CO₂-intensiver.
Ebenfalls gut steht Schweden mit 39 Gramm dar. Dort kam der Strom zu etwa gleichen Teilen aus Wind, Wasser- und Kernkraft. Für letztere unterstellt electricityMap mit 12 Gramm CO₂-Äquivalenten eine fast ebenso gute CO₂-Bilanz wie dem Wind.
Der Kernkraft verdankt auch Frankreich seine vergleichsweise günstige Bilanz, hier werden rund 67 Gramm CO₂-Äquivalente pro Kilowattstunde produziert. Das ist deutlich mehr als in Island, aber deutlich weniger als in Deutschland. Aktuelle Daten liegen in der App, wie gesagt, nicht vor, aber andere Quellen kommen zu einer mehr als 400 Gramm (sagt unter anderem der Stromreport). Allerdings könnte die Bilanz heute besser gewesen sein, da Wochenende ist und Wind, Sonne und Atom einen höheren Teil abdecken als unter der Woche.
Noch besser als Frankreich ist der Wert allerdings in Norwegen, auch dort machen Wasser und Wind die gute Bilanz. In Mittelnorwegen (für Norwegen werden regionale Daten ausgewiesen) ist die Bilanz mit 23 Gramm wegen des hohen Anteils an Wasser (rund 65 Prozent und Wind rund 35 Prozent) sogar noch günstiger als in Island, dafür ist die Bilanz mit 77 Gramm in Südwestnorwegen deutlich schlechter. Das liegt dort hauptsächlich an Stromimporten aus dem Ausland, hauptsächlich aus Dänemark, das auf 125 Gramm kommt. Norwegen insgesamt produziert eine Kilowattstunde Strom heute um 16.00 mit 44 Gramm CO₂.
Die Schlusslichter
In Spanien (131 Gramm), Großbritannien (140 Gramm) und Österreich (251 Gramm) ist der Wert deutlich schlechter. Deutschland dürfte noch hinter Österreich liegen, denn dort gibt es kaum Kohlekraftwerke. Es gibt mehr Wasserkraft, Samstag 16.00 Uhr kam der Strom dagegen vorwiegend aus Gaskraftwerken.
Das ist aber nichts gegen die 532 Gramm CO₂-Äquivalente in Polen. Klar, der Strom dort kam zum Erhebungszeitraum zum allergrößten Teil aus Kohlekraftwerken. Dafür veranschlagt die App pro Kilowattstunde 820 Gramm.
Betroffen wurde Polen noch von Bosnien und Herzegowina mit 813 Gramm, denn dort wurde der Strom zu fast 100 Prozent mit Kohle produziert. Betrachtet man nicht nur Länder, sondern auch einzelne Regionen, spielen Punjab und Maharashtra in Indien sowie Queensland in Australien mit Werten über 700 Gramm in der gleichen Liga. Auch sie produzieren den Strom zum größten Teil mit Kohlekraftwerken. Die kanarische Isla de Gomera steht mit 650 Gramm unwesentlich besser dar, dort wurde der Strom zu 100 Prozent aus Öl gewonnen.
Ein paar einschränkende Worte
Natürlich ist diese Statistik keine Handlungsempfehlung. Norwegen und Island haben andere Bedingungen als Deutschland, mehr Wasser und weniger Menschen.
Außerdem betrachtet die Statistik nicht den Verbrauch. Die Menschen in Punja produzieren ihren Strom zwar sehr umweltverschmutzend, dürften aber deutlich weniger Strom verbrauchen als jene in Westeuropa. Insgesamt ist ihre CO₂-Bilanz daher wohl deutlich besser.
Allein den Stromverbrauch pro Kopf zu betrachten, würde uns aber auch nicht weiterbringen. Viel Strom in Deutschland wird beispielsweise von der Industrie verwendet, um Güter für den Export herzustellen. Man kann deshalb darüber streiten, ob der Verbrauch nicht besser den Kunden in den jeweiligen Ländern zugerechnet werden muss.
Wer sich für die Diskussion interessiert…
Wer sich für die Diskussion über den Umbau der Stromversorgung empfiehlt, dem empfehle ich das Gespräch zwischen den Professoren Quaschning und Rieck. Beide plädieren für einen Umbau der Stromversorgung, sehen aber im Detail andere Vorgehensweisen als sinnvoll. Beispielsweise war für Herrn Rieck der Atomausstieg ein Fehler, für Herrn Quaschning nicht.
Aber bitte nicht zu viel streamen. Streaming, schrieb die Neue Zürcher Zeitung einst, sei das neue Fliegen (so wie Sitzen das neue Rauchen und drei bei der Kinderzahl das neue zwei ist).
Stromverbrauch beim Streaming
Eine Stunde Streaming verbraucht nach Angeben des Branchenverbandes Bitkom bei einem 65 Zoll (1,65 Meter) Fernseher und 1080 Punkten Auflösung (1080p) rund 0,39 Kilowattstunden Strom, wenn über das Festnetz gestreamt wird. Der Stromverbrauch für das Rechenzentrum und das Übertragungsnetz ist hier bereits enthalten, er macht mehr als 50 Prozent des Verbrauchs aus. Zum Vergleich: Mein Wasserkocher benötigt etwa 2.000 Watt beziehungsweise 2,0 Kilowatt. Ist er eine Stunde in Betrieb, verbraucht er also 2,0 Kilowattstunden. Das ist theoretisch das fünffache, allerdings wird er immer nur für einige Minuten genutzt. Die meisten von uns dürften also mehr Strom für Streaming als fürs Wasser kochen verbrauchen.
Der Stromverbrauch steigt natürlich, wenn größere Fernseher verwendet werden oder die Daten über das Mobilfunknetz übertragen werden. Er sinkt wiederum, wenn klassisches Fernsehen über Antenne, Sat-Schüssel oder Kabelanschluss geschaut wird.
Wenig überraschend, dass Bitkom der Klassifizierung des Streamings als neues Fliegen widerspricht. Im Vergleich zu Dienstreisen seien Videokonferenzen deutlich energieärmer. Das gilt sicher auch, wenn jemand streamt, statt mit dem Auto in die Disko zu fahren. Spazieren gehen bleibt aber umweltfreundlicher.