Versorgungslücke ist mein persönliches Finanz-Unwort. Ständig bombardiert mich die Finanzindustrie mit Versorgungslücken. Ob ich schon eine Risiko-Lebensversicherung hätte, fragt der Direktversicherer Europa – und rechnet gleich eine Versorgungslücke vor. Wie viel Geld fehlt im Haushalt, wenn der Alleinverdiener stirbt?
Das ist eine spannende Frage. Sozialbehörden und Statistiker treibt seit langem die Frage um, wie man die Bedarfe von Familien berechnet. Wie viel mehr Sozialhilfe braucht eine vierköpfige Familie im Vergleich zu einem Alleinstehenden? Und wann ist eine Familie arm und wann ein Single?
In der Sozialforschung gibt es dafür das Nettoäquivalenzeinkommen (Erläuterung Nettoäquivalenzeinkommen). Dabei ist die Basis ein Einpersonenhaushalt. Jeder weitere Erwachsene zählt 50 Prozent dieses Wertes, jedes Kind 30 Prozent. Die Armutsgrenze für eine vierköpfige Familie liegt also bei 210 Prozent derjenigen für einen Alleinstehenden.
Was hilft uns das? Schließlich wissen wir nicht, was 100 Prozent sind. Macht aber nichts. Wir wollen ja keine Armutsgrenze berechnen. Uns reicht, dass nach dieser Rechnung die Familie nach dem Tod eines Erwachsenen rund ein Viertel weniger Geld bräuchte (160 statt 210 Prozent).
Laut Werbung hatte der Hauptverdiener ein Einkommen von 2.500 Euro und bekam 1.875 Euro netto raus. Das Geld fehlt, dafür muss aber auch eine Person weniger miternährt werden. Auf Basis der obigen Annahmen stünde die kleinere Familie mit 1.429 Euro genauso gut da wie vorher mit 1.875 Euro. Bei 710 Euro, die es laut Werbung von der gesetzlichen Rentenversicherung gibt, bleiben 719 Euro Versorgungslücke.
Allerdings gibt es an diesen Berechnungen auch Kritik. Stimmen die Gewichte? In unserem Fall kommt noch dazu, dass die Familie sicher schon ein Haus oder eine Wohnung hat, die sie nicht verkaufen will.
Die Sozialbehörden rechnen ohnehin anders. In der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach SGB II und SGB XII werden ebenso wie in der alten Sozialhilfe nach dem BSHG die Wohnkosten extra berechnet. Bei der eigentlichen Leistung (Sozialhilfe, Sozialgeld oder Alg 2) gibt es für jeden zusätzlichen Erwachsenen 80 Prozent des Regelsatzes (also dessen, was ein Alleinstehender bekommt), für jedes Kind 60 Prozent, für Jugendliche je nach Alter 60 bis 80 Prozent.
Unterstellen wir mal 800 Euro Wohnkosten, die auch nach dem Tod eines Erwachsenen gleich bleiben. Den Rest berechnen wir wie in der Sozialhilfe. Die Kinder sind beide unter 14. Dann läge die Versorgungslücke mit 878 Euro sogar etwas höher.
Jetzt kommt die spannende Frage: Wie rechnet die Versicherung? Gar nicht, sie nennt einfach den Unterschied zwischen Rente und altem Einkommen „Versorgungslücke“. Nun kann man die obigen Berechnungen kritisch hinterfragen. Brauchen Kinder wirklich so viel weniger? Aber die Berechnungen des Versicherers erscheinen mir doch etwas unseriös, vor allem nachdem der mit „TÜV-geprüfter Beratung“ wirbt.
Anders dagegen die Werber. Denen war die Lücke noch immer zu klein. Sie schummeln deshalb bei den Proportionen der Balken. Die „Versorgungslücke“ von 1.165 Euro ist dort dreimal so groß wie der Balken mit den 710 Euro staatlicher Leistung.
Ich verzichte also auf die „TÜV-geprüfte Beratung“ und hoffe, dass meine Frau (der Hauptverdiener) weiter gesund bleibt. Erst einmal kaufe ich deswegen Obst.