Schon vor mehreren Jahren habe ich über die Auflagenentwicklungen der Tageszeitungen sowie Paid Content geschrieben. Jetzt ist es an der Zeit, zu fragen, was sich seitdem getan hat.

Unsere Massenmedien – Nicht perfekt, aber notwendig

Die Corona-Krise, aber auch der Krieg in der Ukraine haben Stärken und Schwächen unserer Medienlandschaft noch einmal offengelegt. Einerseits wurde den Medien vorgeworfen, zu ungeprüft Positionen der Regierung übernommen zu haben. Zu viele Minderheitsmeinungen? Das Gegenteil ist der Fall, schrieb die Tageszeitung „Die Welt“.

Social Media ist kein Ersatz für die Zeitung

Andererseits zeigte sich die Schwäche von Social Media, wo jedes Gerücht uneingeordnet und ungeprüft wie bei dem Kinderspiel „Stille Post“ weitergegeben wurde. Selbst die BILD-Zeitung hatte meiner Meinung nach in der Krise eine wichtige Funktion, denn sie erreichte Menschen, die sich sonst oft nur über Facebook informieren wurden und machte klar, dass COVID-19 real ist.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk allein ist nicht genug

Aber sehen das die Menschen genauso? Sind sie bereit, für Medienangebote Geld auszugeben? Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der von der Medienkrise nicht betroffen ist, scheint alleine jedenfalls keine Alternative, das zeigte zuletzt auch der Ukraine-Krieg (vgl. ARD in der Krise – „Bilder, die wir nicht verifizieren können“ | Cicero Online).

Außerdem bietet er nicht die gleiche Breite des Meinungsspektrums, wie es die Privaten tun. Natürlich, auch dort gab es gewissen Nivellierung. Das ehemalige Leitmedium der Konservativen, die F.A.Z., ist immer weniger von Spiegel oder Süddeutscher Zeitung zu unterscheiden. Trotzdem bleibt das Meinungsspektrum der privaten Medien breiter als das der öffentlichen.

Ohnehin sollte jedem klar sein, dass ein Medienverbund alleine nicht die gesamte Nachrichtenlandschaft kontrollieren darf, auch nicht, wenn er wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland dezentral organisiert ist.

Die Auflagenentwicklung

Das scheint viele Menschen aber egal zu sein. Denn die Auflagen der Zeitungen fallen weiter. Die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (ivw) freut sich schon darüber, dass das Minus im letzten Quartal 2021 bei der verkauften Auflage der Tageszeitungen nur noch 3,72 betrug, bei den Wochenzeitungen „nur“ 2,86 Prozent.

Die ivw ist so einer Art Google Analytics für Zeitungen, von mir aus auch ein Matomo (früher Piwik) für die Presse.

Immerhin gab es gegenüber dem Vorquartal ein Plus, in den Monat Oktober, November und Dezember lag die verkaufte Auflage bei den Tageszeitungen um 2,74 Prozent höher als in den Monaten Juli, August und September, bei den Wochenzeitungen um 1,03 Prozent.

TageszeitungenAktuellVeränderung zum
Vorquartal%
Veränderung zum
Vorjahresquartal%
Verkauf13.539.9602,74-3,72
davon
Abonnement10.060.0711,21-3,30
Einzelverkauf2.108.1391,56-8,80
Bordexemplare164.60945,37-4,85
Sonstiger Verkauf1.207.14114,912,77
Wochenzeitungen
Verkauf1.631.9621,03-2,86
davon
Abonnement1.457.5491,41-2,78
Einzelverkauf68.964-9,57-5,70
Bordexemplare3.825-0,032,46
Sonstiger Verkauf101.6243,75-2,16

E-Paper Auflagen steigen, aber nicht schnell genug

In der Zahl sind die E-Paper-Abos bereits enthalten. Ihre Zahl steigt ständig, aber nicht schnell genug, um den Rückgang bei den gedruckten Exemplaren auszugleichen.

Dabei sieht das Plus auf den ersten Blick beeindrucken aus. Es beträgt gegenüber dem Vorjahresquartal bei den Tageszeitungen 11,62 Prozent, gegenüber dem Vorquartal immerhin 9,94 Prozent. Insgesamt meldete die ivw 2.055.936 verkaufte E-Paper. Aber das reicht nicht, um den Rückgang bei den gedruckten Zeitungen auszugleichen.

Bild von Zeitungen zur Illustration des Themas Paid Content
Die Älteren werden sich noch dran erinnern: gedruckte Zeitungen.

Die ivw weist die gedruckte Auflage nicht getrennt aus, sondern nur die Gesamtauflage und die darunter erfassten E-Paper-Exemplare. Man kann sich den Rückgang aber leicht ausreichen. Bei einer verkauften Tageszeitungs-Auflage von 13.539.960 Exemplaren und für die Tageszeitung und
2.055.936 verkauften E-Paper lag die gedruckte verkaufte Auflage bei 11.484.024 Exemplaren. Das ist ein Plus von 1,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal, aber ein Minus von 6,0 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal.

Bei den Wochenzeitungen sieht die Situation etwas schlechter aus, hier gab es nur ein Plus von 0,1 Prozent gegenüber dem III. Quartal 2021 und ein Minus von 7,3 Prozent gegenüber dem VI. Quartal 2020.

Dass es bei den E-Paper kaum Einzelverkäufe gibt, ist der Hauptgrund für den starken Rückgang der verkauften Exemplare im Einzelverkauf. Nur 0,2 Prozent der E-Paper entfallen bei Tageszeitungen auf den Einzelverkauf, 55,6 Prozent auf Abos. Auch Bordexemplare spielen mit 0,2 Prozent kaum eine Rolle, der Rest entfällt auf den sonstigen Verkauf.

Rettet Paid Conent die Verlage?

Vor fast fünf Jahren hatte ich geschrieben, Paid Content: kein Erfolgsmodell. Hat sich das geändert?

Plus, Pur und andere Paid Content Konzepte

Stolz vermeldet die ivw vor kurze, erstmals seien mehr als eine Million Abos für Paid Content von ihr erfasst. Also Abonnements, mit denen Leserinnen und Leser entweder exklusiven Zugriff auf Online-Inhalte oder ein werbefreies Angebot bekommen. Während E-Paper identisch mit der gedruckten Ausgabe sind, erinnert hier fast nichts mehr an die Papierzeitung.

Oft erkennt man sie an einem Plus, also Welt+, Cicero+ und so weiter. Dann sind es meist Freemium-Angebote, bei denen einige Artikel kostenfrei sind und andere nur für Abonnenten zugänglich sind.

Bei Angeboten, die im Namen den Zusatz „Pur“ tragen, erhält man meist ein unverändertes Angebot, aber ohne Werbung. Daneben gibt es noch Zeitungen, bei denen Artikel generell kostenpflichtig sind oder nur eine bestimmte Zahl von Beiträgen gelesen werden kann.

Erstmals über eine Million Abos

Im Juni 2021 wurde erstmals die Grenze von einer Million Euro Abo übertroffen, im Februar 2022 gab es durchschnittlich 1.187.442 bezahlte Nutzungsrechte pro Tag. Das hört sich nicht nach viel an im Vergleich zu 13,5 Millionen verkaufen Exemplaren pro Ausgabe allein bei den Tageszeitungen.

Auch das Plus ist in absoluten Zahlen nicht sehr beeindruckend, es betrug im Februar 2022 zwar rund 31,8 Prozent, doch das sind nur rund 287.000 Nutzungsrechte – gegenüber rund einer halben Million Rückgang allein bei den Tageszeitungen (auch wenn sich diese Daten auf das IV. Quartal beziehen, die Nutzungsrechte aber auf den Februar 2022).

Ein und Austritte erschweren den Vergleich

Ein Vergleich ist leider nicht so einfach. Denn nicht alle Verlage berichten über ihre Paid Content Aktivitäten. Auch der Vorjahresvergleich ist schwierig, denn es gibt ständig Ein- und Austritte. Seit 1. Juni 2021 wird beispielsweise das Angebot Rheinpfalz+ mit erfasst, im folgenden Monat kam das Paid Content Angebot der Freien Presse hinzu. Das ivw macht sich nicht die Mühe, vergleichbare Zahlen vorzulegen. Eine halbe Stelle für die Statistik würde sich beim ivw lohnen, denn besser aufbereitete Statistiken würden sich sicher zu mehr Berichterstattung führen.

Außerdem entfallen viele Nutzungsrechte auf Kombinationsangebote, bei denen Menschen die Tageszeitung als Printausgabe oder E-Paper und ein Nutzungsrecht gleichzeitig besitzen wie beim Angebot Welt Premium (E-Paper + WELTplus).

Die Neueintritte machen den Vergleich schwer. Eher lässt sich der Verlauf am Beispiel einer Tageszeitung vergleichen.

Paid Content am Beispiel der WELT

Der Springer Verlag hatte früher als andere auf Paid Content gesetzt. Kein Wunder, dass allein BILDplus mehr als 50 Prozent der Nutzungsrechte ausmacht, WELTplus ist der zweitgrößte Anbieter. Die meisten der 18 erfassten Paid-Content-Anbieter sind Tageszeitungen, es gibt aber auch einige Fachzeitschriften wie Werben und Verkaufen darunter.

AngebotNutzungsrechte pro Tagdar. Kombinationen
BILDplus593.499172.172
WELTplus188.40452.746
SZ+124.487
F+81.752
RHEINPFALZ Plus46.90244.346
FP+38.94236.876
RP+26.231
AZ Plus22.47316.543
restliche1064.752.
Gesamt1.187.442.

Es scheint, als ob die WELT auch keine Lust mehr auf Print hätte, denn das Angebot WELT kompakt wurde eingestellt (mit Ausnahme der Sonntagszeitung) und die WELT selbst ist als Printausgabe sehr dünn geworden. Am Samstag erscheint sie gar nicht mehr.

Auflagenentwicklung der WELT

Die WELT fällt etwas aus dem Rahmen, weil die von Montag bis Freitag verbreitete Ausgabe im letzten Quartal 2021 mit knapp über 81.000 Exemplaren rund 14,7 Prozent mehr verkaufte als im Vorjahresquartal. Vorausgegangen war aber ein Absturz um 34,2 Prozent von 2019 zu 2020.

Ich bin mir nicht sicher, ob das eine reale Entwicklung ist, oder aber mit Änderungen bei der Erfassung zusammenhängt, sonst wäre der Absturz echt krass.

Ungewöhnlich ist auch, dass die Zahl der Nutzungsrechte mit über 180.000 im Dezember 2021 deutlich höher liegt als die der klassischen Zeitung. Wobei davon 52.000 auf Kombinationen entfallen, also E-Paper plus Paid Content.

Paid Content rettet die Auflagenbilanz

Es ist nicht ganz so einfach, eine Gesamtsumme zu bilden. Die ivw ergänzt die Auflagenzahlen für das vierte Quartal 2021 mit dem Hinweis „zuzüglich 161.188 tNR“, wobei die Abkürzung für tägliche Nutzungsrechte steht.

ArtIV / 2021IV / 2020 IV / 2019
Print65.79962.76587.133
E-Paper15.5338.11820.644
Paid Content (tNR)161.188126.70689.017
Gesamt242.520197.589196.794

Die erste Zeile gibt die Zahl der Print-Abos an. Ich habe dazu von den Zahlen des ivw einfach die E-Paper-Abos abgezogen.

Die zweite Zeile zeigt dann die reinen E-Paper-Abos, also ohne Print-Abo. Die dritte Zeile gibt die durchschnittlichen täglichen Nutzungsrechte (tNR) an. Hier bin ich allerdings etwas unsicher, da gerade bei der Welt darin auch Kombinationsangebote enthalten sind. Hier muss man aufpassen, dass ein Angebot wie Welt Premium mit einer Kombination von Paid Content und dem E-Paper oder einer Printausgabe nicht zweimal gezählt wird. Das ivw hat die Kombinationsangebote nämlich nicht abgezogen. Ich habe angefragt, warum das nicht gemacht wird, aber noch keine Antwort erhalten.

Dass die Zahl täglichen Nutzungsrechte hier niedriger ist, als in der Tabelle oben, liegt daran, dass die Printzahlen einen Durchschnittswert für das letzte Quartal 2021 angeben. Entsprechend beziehen sich die Nutzungsrechte auch auf diesen Zeitraum, die obigen dagegen auf den Februar.

Denkbar ist, dass Welt Premium nicht als E-Paper-Abo gezählt wird. Das würde auch erklären, warum es rund 50.000 Kombinationsabos, aber nur 15.000 E-Papier-Abos gibt (es könnte natürlich auch an Kombinationen mit dem Print-Abo liegen). Ich habe bei der ivw angefragt, aber bisher keine Antwort erhalten.

In jedem Fall konnte die WELT dank Paid Content die Zahl der Abos erhöhen. Das würde auch gelten, wenn man die Kombinationsangebote abzieht. Dann läge zwar die Gesamtzahl der Abos niedriger, der Trend wäre aber ähnlich.

Rettet Paid Content die Verlage?

Ob das die WELT wirtschaftlich rettet, kann ich nicht sagen. Laut ivw lagen im Februar immerhin 104.158 Abos in der Preisklasse über 7,99 Euro. Das ist allerdings immer noch deutlich weniger als ein klassisches Abo kostet.

Hinzu kommt der Rückgang bei den Werbeeinnahmen. Klassischerweise deckten die ein bis zwei Drittel der Einnahmen von Tageszeitungen. Im Internet wird das kaum zu erreichen sein, denn das Angebot an Werbeflächen ist zu groß. Vielleicht ergeben sich durch Content Marketing neue Chancen, wer weiß.

Immerhin bedeutet das Internet auch geringere Vertriebskosten, weil Druck und Verteilung wegfallen.

Selbst wenn die WELT ihre Einnahmen steigern konnte, bedeutet das nicht, dass andere Verlage nachziehen können. Die F.A.Z. verlor auch dann, wenn man die tNR mitzählt (und unterstellt, dass sie 2019 keine verkaufte – für dieses Jahr werden keine ausgewiesen, womöglich wurden sie aber auch nur nicht gemeldet).

Auch bei BILD gleichen selbst fast 600.000 Zugriffsrechte nicht annähernd, um den Auflagenverlust auszugleichen. Aber immerhin gibt es für die Verlage offenbar so etwas wie Hoffnung. Vielleicht mit einer verschlankten Redaktion oder mit weniger Zeitungen, aber immerhin.

Übrigens, wer selbst ein Paid Content Abo sucht, kann eines über meine Seite texter-werden.com abschließen, dann bekomme ich ein paar Euro Provsion. Auf dem Statistiker-Blog mache ich ja keine Werbung, aber jener Ableger ist kommerziell (ich werde texter-werden.com allerdings im Herbst einstellen – falls jemand die Seite übernehmen mag, bitte melden).